Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

DOI article:
Keim, Heinrich Wilhelm: Der pfingstliche Mensch
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0299

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DER PFINGSTLICHE
MENSCH
H. W. KEIM

. .. und wurden alle voll des heiligen Geistes und fingen
an zu predigen mit andern Zungen, nach dem der Geist
ihnen gab auszusprechen. Apostelgeschichte
In einem der kleinen palästinensischen Häuser saßen sie; hartgliedrige,
schwerhändige Handwerker. Sie warteten auf nichts. Sie spannten ihre
Hoffnung nicht auf die Folter. Sie saßen und waren bereit. Denn sie
glaubten. Bis hierher waren sie der dunklen Stimme gefolgt, die sie von
ihren täglichen Hantierungen gerufen hatte. Keiner ihrer Nachbarn, nicht
ihre Eltern und Geschwister hatten verstanden, was diese Männer befallen
hatte. Wußten sie selbst es? Sie waren ungewohnt der Beobachtung ihrer
Seele, ungewohnt auch, denkend ihr Tun und dumpfes Fühlen auseinander*
zuklären. Deshalb aber waren ihre Seelen eindrucklos und daher eindruck#
willig, voll von der elementaren Kraft der Hingabe an das, was ihrer wartete,
sie zu erfüllen.
Ihr Meister hatte sie nicht zu sich gezwungen. Teils waren sie zu ihm ge#
kommen, zu ihm getrieben wie Schiffe, die ihre Segel dem Wind entgegen#
spannen, von ihm die Richtung ihrer Fahrt empfangend; teils hatte es nur
eines Wortes bedurft, unklarer Sehnsucht den bestimmten Weg anzuzeigen.
Wer aber ihr Herr war, das war ihnen immer Geheimnis geblieben. Ihre
Ahnungen und ihre täglichen Erlebnisse lagen so tief im Unfaßbaren ver#
senkt, daß sie mit Menschenkraft keineswegs in die Helle des Bewußtseins
gezogen werden konnten. So dienten sie demütig im Gebet der gegenwär#
tigen Kraft, die sie nie erdenken konnten. Wußten sie, daß der Gott ihres
Herzens ihr fordernder, sie gestaltender und erhaltender Gott war? Erst
wenn sie ihn hätten aufgeben müssen und aufgeben können, erst dann wären
sie des inne geworden, daß ihr Wesen in ihm ruhte, von ihm Inhalt und
Form erhielt, von ihm getragen wurde auf die Höhe, vor der dem Menschen
schwindeln muß, wenn sein Auge sehend und sein Geist erkennend wird.
Nicht zurück in ihr altes Leben aber hätte der Weg sie führen können. Nie
wieder hätten sie ihren Alltagsplatz auszufüllen vermocht. Denn in jede
ihrer Werkeleien hätte als strenge Mahnung und wehe Erinnerung die
Stimme gerufen, die sie einst aus ihrer Hände bedachtsamer Arbeit heraus#
rief. Und nie hätten sie wieder in die selige Lichtruhe und das stille Ge#
heimnis des neuen Lebens sich zurückgefunden. Denn wer einmal an die
Entscheidung seines Lebens zerstörend die Hand gelegt hat, wird nie mehr
seines Schicksals trächtig. Diese Männer aber hatten einmal ihrer Bestim#
mung in die Augen gesehen. Sie hatten nicht gewählt; sie waren Gewählte.
Sie hatten die entsetzliche Einsamkeit des Todes geschaut, den ihr Meister
erlitten hatte. Aber sie hatten sich aus dem tragischen Zusammenbruch eines
heiligen Lebens den Glauben an den Triumph des heiligen Willens gerettet.

285
 
Annotationen