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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Talhoff, Albert: Kunst und Zeit: (Heinrich Heidner/Ernst Knappe)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0275

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KUNST UND ZEIT
(HEINRICH HEIDNER / ERNST KNAPPE)
ALBERT TALHOFF
Heinrich Heidner hat den Vorzug innerhalb der »modernen Kunst«
und ihrer Modeschau noch so gut wie unbekannt zu sein. Die Werbe*
trommel der Händler und Zünftler ließ ihn nicht Sturm laufen auf
die Konjunktur. Auch wurde er von keinem Richtungspapst auf die Knie
gehoben und als neueste Attraktion verauktioniert. Dazu war er in der
Qualität zu schwer — das Fähnlein ließ sich nicht beliebig nach dem Winde
drehn. Das gab zu denken. Wenigstens denjenigen, die zum erstenmal mit
gezückter Feder vor seinen Kriegsbildern standen, deren vom Erlebnis über#
mannter Vortrag so gewaltig war, daß man zunächst stutzte — um dann,
trotz aller Vorbehalte, ergriffen, mit Anerkennung nicht zu sparen. Da gab
es keinen Kanonier mit bekränzter Mütze im fremden Land die fremde
Sonne grüßend, da stand kein Held, ausgeeinzelt und das hohe Beispiel
weisend vor der kampfgepreßten Schar, da war das ungeheure Geschehn
in seiner ganzen trostlosen Gottesausgeschwiegenheit kundgetan, Natur,
Mensch, Tier zusammengefaßt in eine einzige schreiende Ohnmacht, in eine
einzige klaffende Wunde, aus der hervor das Blut sich dreifach ergoß: aus
der Scholle, aus dem Herzen, und aus dem Leibe aller Kreatur. Aber da
prahlte auch keine Farbe mehr, gehässig gegen den Pinsel, der sie ver#
schmähte, da leuchtete nur noch fern vom Horizont in letzter Abgeschieden#
heit der scheidende Tag, während eine schleichende Trauer im tiefstgedunkel#
ten Grau verblich. Das war Gestaltung. Ohne Pathos, ohne Tubenterror, aber
mit einer Aussparung der Mittel, mit einer verbissenen Verschwiegenheit
im Ausdruck, mit einer Straffung der Linie und der Komposition, daß man
zur Klassifikation des Künstlers alle Schlagwörter fallen ließ — und ihn
nur schlicht beim Namen nannte. Ein Mensch hatte gesprochen, mit der
ganzen Wucht einer erschütterten Seele. Ein Bruder seiner Brüder, ob Feind
oder Freund, legte Zeugnis ab von dem, was Schlacht, was Mord, was Ver#
zweiflung war in diesem Sterben. Das war alles. Ein Ereignis — notiert —
gewürdigt und vergessen.
Dann kam die Revolution und auch die Kunst bestieg die Barrikaden. Mit
den Götzen fielen die Meister — und so hinderte denn die »Atelierrebellen«
nichts mehr, den Kopf zwischen die Beine zu stecken, um Himmel und Erde
und alle Erscheinungen im Rund in umgekehrter Reihenfolge zu malen, zu
dichten, zu modellieren und zu vertonen. Man verließ den Stoff und ging
über zum Begriff. Die Entdeckung dieses phänomenalen Sprungs verhalf
manchem Professor zum Stuhl. Der neue Geist bezog die Akademie. Der
neuen Muse legte man mit großer Sorgfalt den schreienden Säugling an die
Brust. Und an Stelle der Werke: hängen die Windeln!
Inzwischen aber mag die Fackel in den Händen derer kreisen, die fernab
vom Markt in zähem Ringen ihre Bahn zu Ende gehn, und die von keinem

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