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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Winther, F. H.: Das Kind und der Rhythmus: Anmerkungen zu G. F. Hartlaubs "Genius im Kinde"
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0342

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DAS KIND UND DER RHYTHMUS

ANMERKUNGEN ZU G. F. HARTLAUBS»GENIUS IM KINDE«

F. H. WIN TH ER


on Gesang, Malerei, Plastik, Architektur ausgehend versuchten Dichter wie Dietrich und

V Hackmann, Forscher wie Sievers, Rutz, Schleich, Worringer, Grosse begrifflich, oft ex«
perimentell, die Urgestaltung der Kunst zu erfassen, die sich dem tänzerischen Menschen
am unmittelbarsten offenbart in einer Bewegtheit in Erregung, die körperlich ist und geistig
in einem und die den Raum durchformt. Werke, wie die »Typenlehre«, die »Anfänge der
Kunst«, »Formprobleme der Gotik« bezeichnen die Wege, die mehrfach dieses Problem
verfolgen, wenn die letzten Ziele selbst umfassender waren.
Auch G. F. Hartlaub hat sich verschiedentlich diesem Problem genähert, so in dem groß«
angelegten Werk von »Kunst und Religion« (Kurt Wolff), in dem sich eine zugleich wissen«
schaftlich geschulte und mystische Kraft offenbart. Er kommt letzten Gründen nahe von
einem tiefen und einseitig spirituellen Sinn geführt, er schaut das Wesen nicht geistig«
körperlich oder seelisch«körperlich, er schaut es als »Genius«. In dem Buch »Der Genius
im Kinde« (F. Hirt, Breslau) wird die formende, die durchseelende Kraft des begabten oder
genialen Kindes dargestellt, erstes künstlerisches Menschheitsschaffen dämmernder Kultur
überhaupt als Ausstrahlung einer rein spirituellen Welt. Genius wirkt — so führt Hartlaub
aus — gleichsam von außen: er ist die persönliche Verbildlichung jener unsichtbaren Außen«
weit unbewußter Lebens« und Seelenkräfte, die nach altem hermetischem Gleichnis den
wachsenden Menschen umgeben und ihm erst allmählich zur selbstbeherrschten Innenwelt
werden. Solange der äußere Lebens« und Seelenkosmos das kleine Kind noch von außen
her wie eine mütterliche Hülle umfängt, durchflutet und lenkt, ist eine ganze, wahrhaft
kosmische Fülle der Möglichkeiten, wenn auch in winzigen Gaben, sein; dem allwissenden
Unbewußten ist das Geschöpf gleichsam noch lebendig angeschlossen. Hat es aber erst für
sich einen eigenen leib«seelischen Organismus gebildet und Ichheit, so hat es nur noch ein
beschränktes Ausmaß von Möglichkeiten. »Aus dem unendlichen ,Geschöpf1 wird ein
nur allzu endlicher ,Schöpfer'.« —
Mit solchem Gleichnis wird verständlicher, warum gemeinhin ein Kind von der Geburt bis
zur Reife weit mehr verspricht, als es im erwachsenen Alter hält, »und warum dennoch
Kindheit nicht nur ein Versprechen ist, sondern auch schon — im kleinen — eine ganze
Erfüllung. Kindisches in ihr unterliegt veredelndem Fortschritt, Kindliches aber ist
vollendet und ohne Zeit.« —
Solch überpersönliche Kraft des Genius kann man ergänzen, offenbart sich am frühesten,
ursprünglichsten und häufigsten in der rhythmischen Bewegtheit, die sich formt; ein
Gattungsrhythmus ist das Gesetzhafte in der Bewegtheit jeden Kindes, aber dem begabten
Kinde ist dieser nur Rohform, die es individuell gestaltend ausformt bis zu tänzerischen
Bewegungsfolgen. Oft atmet, summt, singt es etwas wie begleitende Klänge, die wachsen
können bis zu tonalen Gebilden, später kommt hinzu oder folgt Auswirkung der Bewegt«
heit im mimischen und pantomimischen Erzählen, Fabulieren, Imaginieren. Bei diesem
Durchgangsmoment der Entwicklung setzt Hartlaubs Darstellung ein; in Anlehnung an
Goethe und Schopenhauer, Jean Paul und Sully wird die wundersame und märchenhafte
Begabung uns erlebnishaft nahe gebracht, die dann meist später verschwindet, um in neuer
Begabung aufzutauchen, oder endgültig das Kind verläßt, oft dem Mittelmaß überläßt.
»Wir können gelegentlich kindliche Äußerungen beobachten, die nach ihrer ganzen Be«

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