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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Reiche, Richart: Alexey von Jawlensky
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0035

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ALEXEY VON JAWLENSKY
RICHART REICHE
»Kunst ist Sehnsucht zu Gott.«
J awlensky
Zum ersten Male seit dem Kriege, der ihn nach zwanzigjährigem Auf#
enthalt in München nach der Schweiz verschlug, sieht man bei uns
in Deutschland wieder Werke dieses genialen Russen. E. E. Scheyer,
die mit tiefem Verstehen die erste eingehendere Würdigung von des nun#
mehr Siebenundfünfzigjährigen Schaffen gab (Das Kunstblatt 1920), hat in
aufopfernder Unermüdlichkeit eine Gesamtschau seines Werkes in deutschen
Städten, in Berlin, München, Frankfurt, Wiesbaden, Barmen, Düsseldorf
gezeigt, denen nun zunächst Mannheim folgen soll.
Bestätigen aus dem Abstand der Jahre die Werke der Zeit von etwa 1909
bis 1914 das Urteil, welches injawlensky die malerisch stärkste Begabung, den
geborenen Koloristen jenes Münchener Kreises der »Neuen Künstlervereini#
gung« sah, so lassen die letzten Schöpfungen, deren Kenntnis uns diese Ge#
samtschau neu vermittelt, den Künstler als geistige Kraft in die vorderste
Reihe mit den Marc und Kandinsky rücken, in die Gemeinschaft der moder#
nen schöpferischen Persönlichkeiten überhaupt, die durch ihr Werk ein neues
Geheimnis sichtbar machten.
Landschaften von blühender Schönheit, immer gesetzmäßiger aufgebaut zur
großen Linie, Stilleben von leuchtender Farbigkeit, ausgebreitet wie festliche
Teppiche, führen zu den großen Köpfen der Vorkriegszeit, die drohend, in
glühenderen Klängen singend, springend vor sinnlichster Intensität der
Farbe, russisch breit ausladen, mit weit aufgerissenen Augen wie byzan#
tinische Mosaiken, nur leidenschaftlicher, nervöser, agressiver eindringen.
Alle Form gigantisch aufgeführt, dem Ansturm dieser koloristischen Triebe
standzuhalten, die sich aus verborgenen Quellen der Schöpferkraft in die
Welt der Erscheinungen ergießen und sie zu neuen unerhörten farbigen
Harmonien zwingen. Gestaltungen asiatischer Vitalität, monumentalen
Form willens, verschwenderischer farbiger Ausdruckskräfte, Emanationen
dämonischer Gewalten des Unterbewußtseins, fremde atembeklemmende,
schreckhafte Visionen. Ihre Größe gebieterisch, verführerisch der luciferische
Glanz ihrer Gesichte. Hochspannung wie in gewitterschwangeren Wolken,
Abbild der Zeit, in der sie geschaffen wurden — gleich Kandinskys platzen#
den Kompositionen, Delaunays schwankenden Städten, Picassos zerbroche#
nen Formen, Marcs untergehenden Tierwelten: Sturmvögel der europäischen
Krisis. Diese Dinge sind von einer letzten sinnlich bejahenden Konzentra#
hon, die nicht mehr gesteigert werden kann. Und doch ist ein Unerlöstes


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