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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Das österliche Licht: Unwandelbares aus der Gemeinschaft der Weisen : der Zeit zum Spiegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0259

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DAS ÖSTERLICHE LICHT
UNWANDELBARES AUS DER GEMEINSCHAFT DER WEISEN

DER ZEIT ZUM SPIEGEL
Der im Selbst wohnend, vom Selbst verschieden ist, den das Selbst
nicht kennt, dessen Leib das Selbst ist, der das Selbst von Innen kennt,
das ist Dein Atman, der heimliche Lenker, der unsterbliche.
Er ist der Seher, den man nicht sieht, der Hörer, den man nicht hört, der
Denker, den man nicht denkt, der Erkenner, den man nicht erkennt; es gibt
keinen anderen Seher, es gibt keinen anderen Hörer, es gibt keinen anderen
Denker, es gibt keinen anderen Erkenner, das ist dein Atman, der heimliche
Lenker, der unsterbliche: leid voll ist alles andere.
Wer beides, Werden und Vergehen, zugleich kennt, überwindet durch das
Vergehen den Tod und gelangt durch Werden zur Unsterblichkeit.
Erst wenn die Menschen die Luft wie ein Fell zusammenwickeln werden,
wird, ohne daß man Gott erkennt, der Schmerz zu Ende sein.
Rechtes Glauben, rechtes Entschließen, rechtes Wort, rechte Tat, rechtes
Streben, rechtes Leben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken.
Leben und Tod sind wohl wichtige Dinge, und doch können sie dem Weisen
nichts anhaben. Wenn Himmel und Erde Zusammenstürzen würden, so
brächte auch das ihm keinen Verlust. Er hat die unmittelbare Erkenntnis
gewonnen und kann daher nicht mehr durch Erscheinungen fortgerissen
werden. Er beherrscht der Dinge Wandel, denn er besitzt ihren Ursprung.
Der Mensch besieht sein Spiegelbild nicht im fließenden Wasser, sondern
im stillen Wasser. Nur Stille kann alle Stille stillen.
Wer andre kennt ist klug — wer sich selber kennt, ist weise. Wer andere
besiegt, hat Kraft — wer sich selber besiegt, ist stark. Wer sich durchsetzt,
hat Willen — wer sich genügen läßt, ist reich. Wer seinen Platz nicht ver«
liert, hat Dauer — wer auch im Tode nicht untergeht: der lebt.
Alle Kreatur weidet unter Gottes Peitschenschlag.
Man muß auch dessen gedenken, der sich nicht erinnert, wohin der Weg
geht. Auch die Schlafenden verrichten Arbeit und wirken mit an dem, was
im Weltall geschieht. — Man darf nicht reden und handeln wie Kinder von
Eltern, deren Grundsatz einfach ist: »wie wirs überkommen haben!«
Unglaube ist der Grund, weshalb das Göttliche sich meistenteils der Er«
kenntnis entzieht.
Unsterbliche sind sterblich, und Sterbliche unsterblich: die einen leben auf
im Tod der andern und ersterben in ihrem Leben.
Lückenlos steht mir das Seiende da, und wo ich auch immer möge beginnen,
dahin werd ich doch wieder gelangen.

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