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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Deubel, Werner: Die Renaissance der Zukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0315

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DIE RENAISSANCE DER
ZUKUNFT

WERNER DEUBEL


enn wir, gepackt und gerüttelt von der fürchterlichen Krisis unserer

Zeit , uns jäh auf uns selber besinnen, und wenn uns aus der Tiefe

¥ ¥ unseres sehnsüchtigen Blutes der Glaube aufleuchtet an zukünftige
herrliche Regungen und Bildungen der deutschen Seele, so gilt dieser Glaube
zwar unmittelbar einer Wiedergeburt des deutschen Wesens, damit zugleich
aber der allgemeineren Renaissance Europas. So sehr diese Zuversicht auch
mag entwertet worden sein im Munde Unwürdiger, — so sehr doch sagt sie
in der Tiefe Wahres.
Sehen wir einmal ab von dem richtungslosen Geschrei einer entwurzelten
Politik und sozialer Scheinrevolutionen, so war, was uns wirklich eine Zeit*
lang hoffen ließ, jene innere Umwälzung, die, obzwar herstammend aus der
allgemeinen Erschütterung des großen Todes, dennoch lebendige Gestalt ge«
wann nur im Bezirk der Kunst. Heute sind die überschwänglichen Hoff«
nungen kühlerer Skepsis gewichen. Fragen wir nach den Gründen der schnei«
len Enttäuschung, so erkennen wir zwar die schlagwortreiche, verblasene
Ästhetik und die Verschmitztheit kecker Konjunkturmacher, denen die
prachtvoll sich auflehnende Seelenregung verfiel; aber wir sehen jetzt auch,
wie überschwänglich naiv es war, alle Hoffnung einzig auf einen künstle«
rischen Impuls zu setzen und zu wähnen, die andere noch viel allgemeinere
Gestaltung einer Kultur, das ungeheure Gebiet der Wissenschaften, ganz
beiseite lassen zu können. Jede Kultur hat die ihrem wissenschaftlichen
Charakter zugehörige Gesinnung; und mit demselben Rechte kann man
sagen: jede Kulturgesinnung hat die ihr zugehörige Kunst. Wie aber hätte
eine aus der impressionistischen Wachheit sich loslösende neue Kunst der
Seele sich halten können innerhalb einer so ausgesprochen seelenblinden
und intellektualistischen wissenschaftlichen Gesamtgesinnung! Wenn wir
also im Folgenden von der Möglichkeit einer zukünftigen Renaissance reden,
so werden wir dabei vor allem auch über die Philosophie, über Metaphysik,
Seelenkunde und Ästhetik, ja selbst über Physik und Biologie etwas zu sagen
haben, als welche zusammen erst als »Weltanschauung« die Beschaffenheit
des Erdreichs bestimmen, von dem die Blüte der Kultur, die Kunst genährt
und getragen wird.
Den Blick zurückwendend von einer möglichen Renaissance der Zukunft,
begegnen wir mindestens dem Wort Renaissance an jener entscheiden«
den Stelle der Vergangenheit, die die Geburtsstunde unserer Zeit bedeutet,
und diese verstehen, heißt schon erkennen, was jene nicht sein kann und
darf. Die erste mißverständlich sogenannte Renaissance bedeutet weniger
die Wiedergeburt der griechischen Antike, als vielmehr die kettensprengende
Überwindung der christlichen Umklammerung, das Losreißen der lebens«
reif gewordenen Völker aus dem kerkernden Schoß der Christenheit, das

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