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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Behne, Adolf: Kunst und Naturanschauung
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0159

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KUNST UND NATURE
ANSCHAUUNG

ADOLF BEHNE


atur«-»Kunst«-nichts scheint klarer und eindeutiger zu
sein als das Verhältnis dieser zwei Faktoren. Natur sowohl wie Kunst

1 1 sind zwei konstante Größen.
Einige Generationen hindurch konnte den Menschen diese spießbürgerlich*
geruhsame und geduldig*kinderreiche Ehe als Äußerung letzter Liebeskraft
genügen. Jedenfalls konnte man sich rühmen, das praktischste und be*
quemste Verfahren gefunden zu haben; durch die ganze Wirtschaft ging ja
die Tendenz, die Zentren der Verarbeitung nach Möglichkeit unmittelbar in
die Zentren der Rohstoffe zu legen, und da man die Natur als Rohstoff
der Kunst erkannt hatte, war es nur vernünftig, das Atelier ins Freie zu
verlegen. »Freilicht« —, »Freiluftmalerei«: man hatte endlich die hygienischen
Vorteile der freien Natur erkannt; es läßt sich nicht leugnen, daß sich der
Gesundheitszustand der Maler hob; sozusagen vom berufshygienischen
Standpunkt aus ein großer Fortschritt.
Nur der gleiche Klang des Wortes Kunst verleitet die Menschen zu glauben,
daß Kunst immer gleich Kunst sei. In ihrer funktionellen Bedeutung ist
Kunst durchaus wandelbar. Es gibt ein Mittel, zu erkennen, wann und wo
solche Wandlungen sich ereignen: sie werden stets sichtbar in einer neuen
Auffassung des Gegenständlichen. Liebermann ist gegenständlich, Rubens,
Multscher und Simone Martini sind gegenständlich — aber hat der Gegen#
stand Simone Martinis auch nur das Geringste mit dem Gegenstand des
Rubens zu tun? Jener ist mit sich selbst identisch, unvertauschbar, eine
Einheit aus Sache und Form — dieser ist zufällig, beliebig vertauschbar,
eine Verlegenheit, nur durch seine dekorativen Eigenschaften empfohlen —
unsachlich.
Wir können Kunst nicht als eine konstante Größe in Rechnung stellen, und
erst recht nicht die Natur! Es ist allerdings die vulgäre Meinung, daß die
Natur so aussähe, wie wir sie ansehen, aber dies ist ein Irrtum — auch wenn
wir das Erkenntnisproblem selbst außer acht lassen. Wir sehen stets nur, was
wir von der Natur sehen wollen, und dieses Sehenwollen wird in jeder
Generation geregelt durch eine neue Konvention. Wir können annehmen,
daß unser Blicken einwandfrei ist, aber merken wir nicht, daß wir unseren
Blick, wie auf einen höheren Befehl, stets nur auf eine bestimmte Auswahl
aus der Natur dirigieren? Diese Auswahl des Blickfeldes ist tatsächlich von

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