Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur (3.1921/1922)

MAX SI DOW
SPIEGEL DER TRÄUME
Wie wir in der Träume treuen Spiegeln
wandeln auf den sanftentzückten Hügeln,
leichtbeflügelt oder leicht berauscht,
über schemenhafte Bäume schreiten
goldner Nebel abgestufte Zeiten,
gegen ferne Ewigkeit vertauscht.
So, beglückten Flugs in vielen Stunden,
schweben Grenzenlose wir, verbunden,
über die Gefilde unsrer Welt.
Was wir bildeten und froh erschufen,
lassen wir auf längst verlaßnen Stufen,
die noch matt ein Abendrot erhellt.
Wir, in heitrem Morgen schon empfangen!
Andre Sonnen sind uns aufgegangen,
und wir wissen nichts als diesen Tag.
Wind und Wolken überdauern Träume,
Aber durch noch nie erflogne Räume
trägt uns unermeßner Flügelschlag.
Wo wir uns im Anfang dir gesellten,
landen wieder wir, in deinen Zelten,
Gott, und sind schon an dein Herz gelegt.
Horch, es pulst, und so mit einem Schlage
stehn Äonen auf aus ewigem Tage
und verwehen wieder, rückbewegt.
Wir, nun heimgekehrt von langen Fährten,
wo wir uns als Tönende bewährten,
atmen Seligkeit und göttlich Sein.
Wie in irdischer Träume treuen Spiegeln
Können wir nun Welt auf Welt entsiegeln,
magisch schließen wir sie wieder ein.
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