Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur (3.1921/1922)

zieht, ein Verzicht auf Unendliches begann, das fühlte von den meisterlichen
Prägern der Deutschen einer, der Gewaltigste, der seine zu unmenschlichen
Gestaden schwärmende Romantikerseele eingefangen und beschlossen hatte,
ein Menschenmeister zu werden. Begreift man wohl die Melancholie Goethes
in dem Wort: Entsagung!? Wir alle aber sind Kinder der deutschen Re?
naissance, wir mögen uns stellen, wie wir wollen. Und Goethe nannte seine
Kinder: die Entsagenden. Von dem ersten klassischen Gepräge spüren wir
wohl, daß es von Jahrhundert zu Jahrhundert wird neu geprägt werden
müssen, daß es aber seitdem dem deutschen Menschen des neuen Europa
unmöglich sein wird, der Bindung zu entraten, da die Menschheit nicht
mehr das große gemeinsame Gewoge ist, das mit gleichem Wellenschlag
den Einen wie den Andern hebt und trägt. Schon einmal wurde dies ver?
standen, im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts. Jetzt aber begreifen wir,
weshalb dem Neuklassizismus ein fruchtbares Leben versagt blieb: er war
der Protest der disziplinierten Wachheit gegen die nicht minder wachen
Kunstströmungen des Naturalismus und Impressionismus.
Immer nur Einzelne sind Pfadfinder der Seele, warnende Wächter neben den
rollenden Generationen. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint das Wesen
der gegenwärtigen Künstler: Kämpfer und Herolde zu sein einer mit Schauern
beseelten, religiös gewordenen klassischen Bindung. Die letzten siebzig Jahre
wußten nichts von diesem Bilde; wir sehen es hinter verworrenem Dunst
der Nebel schon verschwommen leuchten.
Dies ist das Ziel. Wir sind nicht antike Mysten, nicht Ekstatiker der Seele,
nicht Gotiker, und Romantiker zuletzt. Wir wollen nicht Schauspieler des
Unerreichbaren sein! Aber die Luft ist erfüllt von Miasmen und schwärmen?
den Giftkeimen suggestiv wirkender Parolen. Noch geht der Wider?
dämon um.
Noch ist Dionysos zerstückelt.-Er kann wiedergeboren werden, blieb
nur sein Herz unversehrt.
Möge jeder sein Heiligstes hüten!


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