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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Kayser, Rudolf: Gedanken zu einer Philosophie der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0147

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die Wiedergabe von Gesetzen und Gebräuchen hinter das Geheimnis ge?
kommen zu sein. Aber sie haben einen Sinn, wenn man in ganz andere
Richtung blickt; wenn es sich darum handelt, vor der anstürmenden Lebendig?
keit des materiellen Daseins und der ihm entstammenden Problematik eine
Stellung zu verteidigen und auswirken zu lassen, die von völlig anderer
Wesenheit ist. Solche Aufgabe aber spricht heute stärker zu uns denn je, da
Werk und Sinn der Kunst so arm geworden zu sein scheinen und in wenigen
Prognosen nur ihr ein Platz zugewiesen wird.
III
Schiller, hierin völlig Schüler Kants, nimmt als Ausgangspunkt seines Den?
kens den Begriff der Natur. Er ist für ihn die stärkste Sicherheit im begriff?
liehen Reich und jene Größe, auf die alle anderen Erscheinungen zu beziehen
sind. Der Struktur unserer Zeit entspricht dieser Zentralbegriff nicht mehr,
eher jener, der weit unklarer in Form und Gehalt, durch eilige Schlagwort?
Manifestanten sehr abgenützt, doch eine sicherere Orientierung möglich macht
als der Begriff der Natur. Ich meine: den Geist. Schiller (wie Kant) verstand
bekanntlich unter Natur etwas anderes wie die moderne beobachtende,
experimentierende Wissenschaft. Er sah in ihr das Bleibende und Organische
gegenüber dem geschichtlichen und seelischen Leben, keineswegs aber nur
die Objekte unserer optischen und akustischen Erfahrungen. Nur so war es
ihm auch möglich, das Wesen von Dichtung und Dichtern dadurch zu er?
hellen, daß er ihre Beziehungen zur Natur benannte. Nicht also handelt es
sich um Stellungnahme des Dichters zu Wald, Baum und Sandkorn, zu einer
rein landschaftlichen Wirklichkeit, vielmehr zu jenem weiten, von Wundern
und Problemen bevölkerten Reich alles dessen, was außerhalb des eigenen
Ichs lebt. So konnte er Natur erklären als »nicht anders als das freiwillige
Dasein, das Bestehen der Dinge durch sich selbst, die Existenz nach eigenen
und unabänderlichen Gesetzen« und ihr gegenüber die Dichter als jene hin?
stellen, die entweder solche Natur sind oder die verlorene suchen (die naiven
und die sentimentalischen Dichter). Dieser Begriff von Natur hat schon
längst seinen Geltungswert eingebüßt. Wir wissen, daß die Mannigfaltigkeit
der natürlichen Erscheinungen, der Rhythmus und die Gesetze alles dessen,
was um uns blüht und vergeht, verstrickt ist in eine Problematik, die zu
ihrer Bewältigung immer neuer Hypothesen und Methoden bedarf. »Die
Existenz nach eigenen und unabänderlichen Gesetzen« — diese Formel konnte
für das Wesen der Natur nicht lange bestehen, da immer neue Gesetzmäßig?
keiten entdeckt, ihre Relativität also damit festgestellt wurde. Schon die
Romantik sah im Begriffe des Geistes die größere Eigengesetzlichkeit und
eine Wirklichkeit, unabhängig von wechselnden Beobachtungen. Fast wie

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