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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Kayser, Rudolf: Gedanken zu einer Philosophie der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0149

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beherrschen nicht allein das dichterische Werk, sondern bereits das Material,
in dem es geformt wird: die Sprache. Und andererseits ist jenes Merkmal
des Geistigen: das Unterworfensein unter die geschichtliche Wandlung ein
besonderes Merkmal der Dichtung, in der Mannigfaltigkeit und Wechsel
von Stil und Gesinnungen ihren höheren Sinn haben. So bleiben wie für
jede Kunst, so für die Dichtung besonders diese Beziehungen die charak#
teristischen: die auf Geist und die auf Zeit. Die letztere kann durchaus
negativ sein und Abkehr von den Gesinnungen und Ausdrücken der Gegen#
wart bedeuten. Aber ihr Leben besteht doch in diesen Beziehungen zu Gegen#
warten, in die hinein sich die Werke als Freunde oder Feinde entfalten.
Die geistige Kraft ist ausreichend, um sich nicht nur der materiellen Natur
gegenüber zu behaupten, sondern um diese in ihren eigenen Bezirk hinüber
zu nehmen. Letzten Endes ist der Geltungsbereich des Geistes weiter als der
der Natur, da ja unser seelisches und denkendes Wollen sie in sich hinein#
zureißen vermag. Die Welt als Wille und Vorstellung — das ist gleichfalls
die Welt der Dichtung. Schopenhauer zitiert einmal Verse von Byron, die
diesen Bereich der Dichtung und ihre Weite über die materielle Natur hin#
aus und die Vereinigung beider deutlich kennzeichnen:
»I live not in myself, but I become
Portion of that around me; and to me
High mountains are a feeling.«
 
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