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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Gassires Laute
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0054

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Als die Laute zum ersten Male das Dausi gesungen hatte, starb in der Stadt Dierra der
König Nganamba; als die Laute zum ersten Male das Dausi gesungen hatte, war Gassires
Zorn verronnen; Gassire weinte. Als die Laute zum ersten Male das Dausi gesungen hatte,
war Wagadu zum ersten Male verschwunden.
Hoooh! Dierra, Agada, Ganna, Sillal — Hoooh Fasa!
Viermal stand Wagadu im Tageslichte herrlich da; viermal ging es verloren, so daß die
Menschen es nicht sahen: Einmal durch die Eitelkeit, einmal durch den Bruch der Treue,
einmal durch Habgier und einmal durch den Zwiespalt. Viermal hat Wagadu den Namen
geändert. Erst hieß es Dierra, dann Agada, dann Ganna, dann Silla. Viermal hat Wagadu
das Gesicht gewandt. Einmal schaute es nach Norden, einmal nach Westen, einmal nach
Osten, einmal nach Süden. Denn stets hatte Wagadu, so oft es den Menschen sichtbar auf
der Erde errichtet war, vier Tore, eines nach Norden, eines nach Westen, eines nach Osten,
eines nach Süden. Das sind die Richtungen, aus denen die Kraft Wagadus kommt und in
der sie fortzieht, gleichviel ob Wagadu aus Stein, Holz und Erde gebaut ist oder nur wie
ein Schatten im Sinn und in der Sehnsucht seiner Kinder lebt. Denn an sich ist Wagada
nicht aus Stein, nicht aus Holz, nicht aus Erde. Wagadu ist die Stärke, die im Herzen der
Menschen lebt und einmal erkennbar ist, weil die Augen sie erkennen lassen, weil die Ohren
die Streiche der Schwerter und die Klänge am Schild hören und einmal unsichtbar ist, weil
sie ermüdet und bedrängt durch die Unzähmbarkeit der Menschen eingeschlafen ist. Zum
Schlafen kam Wagadu aber einmal durch die Eitelkeit, zum zweiten durch den Bruch der
Treue, zum dritten durch die Habgier und zum vierten durch den Zwiespalt. Wenn Wagadu
aber nunmehr zum vierten Male wiedergefunden wird, dann wird es so gewaltig im Sinn
der Menschen leben, daß es nicht wieder verloren werden kann und daß ihm Eitelkeit,
Bruch der Treue, Habgier und Zwiespalt nie wieder etwas anhaben können.
Hoooh! Dierra, Agada, Ganna, Silla! — Hoooh! Fasa!

Jedesmal, wenn Wagadu unterging durch die Schuld der Menschen, gewann es eine neue
Schönheit, die seine nächste Herrlichkeit noch größer machte. Die Eitelkeit brachte den
Sang der Barden mit sich, die alle Völker nachahmen und heute preisen. Der Bruch der
Treue brachte den Menschen den Regen von Gold und steinernen Perlen. Die Habgier
brachte den Menschen die Schrift, wie sie heute noch die Burdama üben, die in Wagadu die
Kunst der Frauen war. Der Zwiespalt wird aber dem fünften Wagadu die Fähigkeit geben,
ebensowenig vergänglich zu sein wie der Regen des Südens und die Felsen der Sahara, weil
jeder Mann dann Wagadu im Herzen und jede Frau ein Wagadu im Schoße bergen wird.
Hoooh! Dierra, Agada, Ganna, Silla! — Hoooh! Fasa!

Aus »Atlantis«, Band VI (sowie »Samba Gana«), herausgegeben von Leo Frobenius, erscheint 1922 in Eugen
Diederichs Verlag, Jena.


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