Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

DOI Artikel:
Bagier, Guido: Ziele
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0117

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZIELE

GUIDO B AGIER
Der Kampf zwischen Natur und Geist ward nie heftiger gekämpft, als
in unseren Tagen, nie aber vielleicht mit stumpferen und gröberen
Waffen. Die Besinnlichkeit wich einem hastigen Richten, gegeben von
dem äußeren Urteil des Tages, die Dialektik, ehedem geschult an philo?
sophischer Lektüre und geistig straffer Übung, gefiel sich in den platten
Wendungen modischer Schlagworte, die Ziele wurden bestimmt nicht von
den innersten Bedürfnissen des Menschen, von dem metaphysischen Drange
nach schlichter Erkenntnis und Wahrheit, sondern von äußerlichen Gesichts?
punkten utilitaristischer Gattung, denen das Liebäugeln mit großen Namen
und Vorgängen der Geschichte nur als Deckmantel rücksichtlosen Ver?
folgens zeitlich begrenzter, selbstsüchtiger Wünsche diente. Wie das äußere
Geschick der Völker des überlegenen Führers ermangelt, so auch das Gebiet
des Geistes: Die Universitäten, ehedem Wärme und Leben ausstrahlende
feurige Gebilde, sind nach außen verschlossen in kühler, historischer Lehre, —
nur einzelne große Persönlichkeiten wirken gesondert als Subjekt schlecht?
hin, — die Kirche, mit tausend Möglichkeiten die Menschheit umarmend,
mußte den Unsegen jeglichen Dogmas erfahren und arbeitet fieberhaft, hier
neuen Geist in alte Formen zu gießen, dort alte Formen dem erkannten ver?
änderten Geiste anzupassen, — ein Vorgang organisatorischer Art, der vor?
erst jede Wirkung auf die Masse verhindert und kostbarste Zeit verloren
gehen läßt, — die exakte und angewandte Wissenschaft endlich unterliegt je
und je dem Fluche, ohne große, allgemeine Gesichtspunkte nicht kultur?
schaffend, sondern kulturmordend zu sein; ihre Träger, unvergleichlicher
geistiger Disziplin voll, sprechen von Zivilisation, indessen der Cives, der
Bürger, von ihnen erdrosselt wird; ihre Logik veranlaßt sie, jede Hypothese
der Metaphysik als minderwertig abzulehnen. Sie übersehen, daß die Ge?
schichte der Menschheit die Auswirkung jener Hypothesen bedeutet, daß
jeglicher Fortschritt durch vermeintliche Mißverständnisse herbeigeführt
wurde, daß, da die Gesetze der Natur nun einmal für uns Imponderabilien
sind, die Gesetze des Geistes sich mehr und mehr als einzige Führer er?
weisen, daß ihre Erforschung dringlichste und zeitgemäßeste Forderung ist.
Es war das Verdienst der Kunst, jener Sehnsucht und jenem Bedürfnis am
heftigsten und lautesten Ausdruck gegeben zu haben: Alle diese, die, von
einer Unruhe sondergleichen gepeitscht, sich auf bäumten gegen den lasten?
den Zwang der »Natur«, waren von einem Funken jenes heiligen Geistes

105
 
Annotationen