gegeben, deren ganzes Schaffen gleichsam ein nachtwandlerisch sicheres Schrei#
ten durch die Fülle der Dinge, ein Anschauen Gottes war, dessen Handschrift
sie an den gegenständlichen Symbolen mühelos ablasen. Anderen wieder ge#
lang es schwerer, ihre Tagwachheit abzustreifen; sie mußten erst zu den Dingen
ein gewisses Gefühl der Verwandtschaft und Nähe bekommen durch zähes
Hineinlauschen, #graben, #bohren in all seine Falten und Schwingungen, die
dann im vollendeten Kunstwerk schließlich doch im Tiegel des Traums oder
der Extase umgeschmolzen wurden zu Hieroglyphen des Ewigen.
In diesemTriebe zum Metaphysischen ist derExpressionismus eben als Kunst
mit allen vergangenen Kunstepochen prinzipiell eins. Daß aber in unseren
Tagen der abgründige Schrei der unterdrückten Seele mit solch unerhörter
Leidenschaft ertönen konnte, daß dies Feuer auflodernder Freiheitssehn#
sucht fast das ganze Kulturleben der Gegenwart bestimmte und färbte, daß
dabei weniger die Sache einer Kunstgattung oder #auffassung, als vielmehr
die Sache der Menschheit in Frage zu stehen schien, das hat tiefere Gründe.
Es handelt sich nicht etwa nur um eine Marotte des Gebarens, vielmehr
zeigt sich an dem sensiblen Nervenapparat der Künstler deutlicher und weit
vor den politischen und sozialen Evolutionen, daß die Menschheit sich einer
gefährlichen Krisis ihrer Entwicklung nähert, daß sie einem toten Punkte
zusteuert, wo die akosmische Macht des Geistes mit seinen übermächtig ge#
wordenen Hervorbringungen die quellende Vielgestaltigkeit des Lebens
zum unerträglichen Medusenantlitz zu erstarren im Begriffe steht. In den
Künstlern zuerst regten sich widerstandleistend die unterdrückten Kräfte
der Seele. Die tiefste Sehnsucht, die in der späten Menschheit seit Jahrzehnten
mit stets erneuter Inbrunst nach Glück schreit, ist nicht der Wille des
Geistes nach Fortschritt, sondern die Hoffnung der Seele auf Erneuerung
und Wiedergeburt. Das war das Große, Lockende und Schwärmerische an der
gegenwärtigen Bewegung, daß die Qualen aus diesen elementaren Abgrün#
den wuchsen, daß der Mensch über alle künstlichen Schranken, Gesetze und
selbsterbauten Hürden hinweg nach dem unverfälschten Urborn verlangte,
um wieder das reine Wasser des Lebens zu trinken.
In dieser allgemein menschlichen Sehnsucht beruhte der Wille der neuen
Kunst zum Metaphysischen und wäre nach allemVorangegangenen historisch
verständlich als eine jener eruptiven Befreiungsversuche der Seele, deren die
Geschichte viele kennt. Dies war das klare Wesen bislang noch jeder Sturm#
und Drangrevolution: Leidenschaftlich die von Menschenhand und Men#
schengeist unbefleckte, allein vom Winde der Seele überbrauste Natur zu
suchen, um sich, alle Gottähnlichkeit verheißende bewußte Geistigkeit keck
verlachend, jauchzend an das Herz der ewigen Mutter des Lebens, in die
Schauer und Tiefen des Unbewußten zu werfen.
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ten durch die Fülle der Dinge, ein Anschauen Gottes war, dessen Handschrift
sie an den gegenständlichen Symbolen mühelos ablasen. Anderen wieder ge#
lang es schwerer, ihre Tagwachheit abzustreifen; sie mußten erst zu den Dingen
ein gewisses Gefühl der Verwandtschaft und Nähe bekommen durch zähes
Hineinlauschen, #graben, #bohren in all seine Falten und Schwingungen, die
dann im vollendeten Kunstwerk schließlich doch im Tiegel des Traums oder
der Extase umgeschmolzen wurden zu Hieroglyphen des Ewigen.
In diesemTriebe zum Metaphysischen ist derExpressionismus eben als Kunst
mit allen vergangenen Kunstepochen prinzipiell eins. Daß aber in unseren
Tagen der abgründige Schrei der unterdrückten Seele mit solch unerhörter
Leidenschaft ertönen konnte, daß dies Feuer auflodernder Freiheitssehn#
sucht fast das ganze Kulturleben der Gegenwart bestimmte und färbte, daß
dabei weniger die Sache einer Kunstgattung oder #auffassung, als vielmehr
die Sache der Menschheit in Frage zu stehen schien, das hat tiefere Gründe.
Es handelt sich nicht etwa nur um eine Marotte des Gebarens, vielmehr
zeigt sich an dem sensiblen Nervenapparat der Künstler deutlicher und weit
vor den politischen und sozialen Evolutionen, daß die Menschheit sich einer
gefährlichen Krisis ihrer Entwicklung nähert, daß sie einem toten Punkte
zusteuert, wo die akosmische Macht des Geistes mit seinen übermächtig ge#
wordenen Hervorbringungen die quellende Vielgestaltigkeit des Lebens
zum unerträglichen Medusenantlitz zu erstarren im Begriffe steht. In den
Künstlern zuerst regten sich widerstandleistend die unterdrückten Kräfte
der Seele. Die tiefste Sehnsucht, die in der späten Menschheit seit Jahrzehnten
mit stets erneuter Inbrunst nach Glück schreit, ist nicht der Wille des
Geistes nach Fortschritt, sondern die Hoffnung der Seele auf Erneuerung
und Wiedergeburt. Das war das Große, Lockende und Schwärmerische an der
gegenwärtigen Bewegung, daß die Qualen aus diesen elementaren Abgrün#
den wuchsen, daß der Mensch über alle künstlichen Schranken, Gesetze und
selbsterbauten Hürden hinweg nach dem unverfälschten Urborn verlangte,
um wieder das reine Wasser des Lebens zu trinken.
In dieser allgemein menschlichen Sehnsucht beruhte der Wille der neuen
Kunst zum Metaphysischen und wäre nach allemVorangegangenen historisch
verständlich als eine jener eruptiven Befreiungsversuche der Seele, deren die
Geschichte viele kennt. Dies war das klare Wesen bislang noch jeder Sturm#
und Drangrevolution: Leidenschaftlich die von Menschenhand und Men#
schengeist unbefleckte, allein vom Winde der Seele überbrauste Natur zu
suchen, um sich, alle Gottähnlichkeit verheißende bewußte Geistigkeit keck
verlachend, jauchzend an das Herz der ewigen Mutter des Lebens, in die
Schauer und Tiefen des Unbewußten zu werfen.
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