Es soll hier nicht geleugnet werden, daß auch auf dem technischen Wege
der Modellierplastik Werke von streng gebundener Form entstehen können.
So kann z. B. der künstlerisch? visionäre Vorgang rein kubischer Natur sein,
der Bildhauer jedoch führt sein Werk an einem Gerüst von Stangen und
Drähten in Wachs, Ton oder Plastilin aus, sei es, weil er diese Technik in
seiner handwerklichen Lehrzeit so erlernte, sei es auch, weil bei dieser Art
der Kunstausübung die Möglichkeit zu Korrekturen leichter gegeben ist,
während das direkte Heraushauen aus dem Stein eine größere technische
Geschicklichkeit voraussetzt, da hier jeder Schlag leicht verhängnisvoll wer?
den kann. Oder die Skizze einer ursprünglich als Bewegungsplastik konzi?
pierten Figur läßt vor dem Geiste des Künstlers eine Vorstellung rein räum?
lich?plastischer Art entstehen, und die erste Anlage der Figur wird nunmehr
nach den Rücksichten dieser neuen Idee umgeformt. Oder, was noch viel
häufiger ist, die Kräfte einer starken plastischen Begabung, die unter der
Schwelle des Bewußtseins liegen, wirken in intensivster Weise bei jeder
künstlerischen Arbeit mit, in welchem Material und in welcher Manier sie
auch immer ausgeführt sein möge, hier hindernd, dort antreibend, mit einem
Worte als das eigentlich formbildende Element. In all diesen Fällen ist aber
bewußt oder unbewußt die Vorstellung oder das Bedürfnis eines kubischen
Akkordes das Ursprüngliche, und diesen Begriff sowie sein Gegenteil müssen
wir, wenn wir dem Wesen der Plastik näher kommen wollen, zunächst rein
auskristallisieren, ohne vorläufig auf seine Kombinationsmöglichkeiten
weiter einzugehen.
Unter der granitnen Wucht der bildformenden Ideen eines Michelangelo
wurde der Stein förmlich zusammengeballt, im Gegensatz dazu starren uns
an dem Nationaldenkmal Kaiser Wilhelm I. von Reinhold Begas Garben
von spitzigen Bajonetten und Säbeln entgegen; und diese Folterwerkzeuge
für jedes plastische Empfinden erwecken den Eindruck, als sei die Bronze
im Moment einer Explosion erstarrt. Man verkennt daher das innerste Wesen
der Kunst des Michelangelo, wenn man ihn, den Einzigen und Einsamen,
»Vater des Barock« nennt, wenn man seine mit übermenschlicher Kraft
gebändigten Spannungen für die wilde Ausgelassenheit eines Bernini, eines
Puget oder Permoser verantwortlich macht.
Die zentrifugale Tendenz, der Expansionstrieb dieser Plastik steht wiederum
in ursächlichem Zusammenhang mit ihrem Bestreben ihre Werke möglichst
lebendig zu gestalten. Leben heißt Bewegungsmöglichkeit, und je mehr Be?
wegung man in eine Figur bringt, je mehr ursprünglich parallele Körper?
achsen in Winkel gestellt, je mehr Symmetrien aufgelöst, je mehr Gelenke
gebogen werden, desto stärker und überzeugender wird der Eindruck der
Lebendigkeit.
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der Modellierplastik Werke von streng gebundener Form entstehen können.
So kann z. B. der künstlerisch? visionäre Vorgang rein kubischer Natur sein,
der Bildhauer jedoch führt sein Werk an einem Gerüst von Stangen und
Drähten in Wachs, Ton oder Plastilin aus, sei es, weil er diese Technik in
seiner handwerklichen Lehrzeit so erlernte, sei es auch, weil bei dieser Art
der Kunstausübung die Möglichkeit zu Korrekturen leichter gegeben ist,
während das direkte Heraushauen aus dem Stein eine größere technische
Geschicklichkeit voraussetzt, da hier jeder Schlag leicht verhängnisvoll wer?
den kann. Oder die Skizze einer ursprünglich als Bewegungsplastik konzi?
pierten Figur läßt vor dem Geiste des Künstlers eine Vorstellung rein räum?
lich?plastischer Art entstehen, und die erste Anlage der Figur wird nunmehr
nach den Rücksichten dieser neuen Idee umgeformt. Oder, was noch viel
häufiger ist, die Kräfte einer starken plastischen Begabung, die unter der
Schwelle des Bewußtseins liegen, wirken in intensivster Weise bei jeder
künstlerischen Arbeit mit, in welchem Material und in welcher Manier sie
auch immer ausgeführt sein möge, hier hindernd, dort antreibend, mit einem
Worte als das eigentlich formbildende Element. In all diesen Fällen ist aber
bewußt oder unbewußt die Vorstellung oder das Bedürfnis eines kubischen
Akkordes das Ursprüngliche, und diesen Begriff sowie sein Gegenteil müssen
wir, wenn wir dem Wesen der Plastik näher kommen wollen, zunächst rein
auskristallisieren, ohne vorläufig auf seine Kombinationsmöglichkeiten
weiter einzugehen.
Unter der granitnen Wucht der bildformenden Ideen eines Michelangelo
wurde der Stein förmlich zusammengeballt, im Gegensatz dazu starren uns
an dem Nationaldenkmal Kaiser Wilhelm I. von Reinhold Begas Garben
von spitzigen Bajonetten und Säbeln entgegen; und diese Folterwerkzeuge
für jedes plastische Empfinden erwecken den Eindruck, als sei die Bronze
im Moment einer Explosion erstarrt. Man verkennt daher das innerste Wesen
der Kunst des Michelangelo, wenn man ihn, den Einzigen und Einsamen,
»Vater des Barock« nennt, wenn man seine mit übermenschlicher Kraft
gebändigten Spannungen für die wilde Ausgelassenheit eines Bernini, eines
Puget oder Permoser verantwortlich macht.
Die zentrifugale Tendenz, der Expansionstrieb dieser Plastik steht wiederum
in ursächlichem Zusammenhang mit ihrem Bestreben ihre Werke möglichst
lebendig zu gestalten. Leben heißt Bewegungsmöglichkeit, und je mehr Be?
wegung man in eine Figur bringt, je mehr ursprünglich parallele Körper?
achsen in Winkel gestellt, je mehr Symmetrien aufgelöst, je mehr Gelenke
gebogen werden, desto stärker und überzeugender wird der Eindruck der
Lebendigkeit.
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