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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Benz, Richard: Das Testament der Romantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0212

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Nachbildung griechischer Götterleiber auf nordischen Marktplätzen für seit*
samer und unbegreiflicher halten wird als die Nachdichtung gotischer Mas
donnen durch die Nazarener; wo ein Epos in deutschen Hexametern, und
sei es von Goethe, weniger lesbar sein wird als ein Brentanosches Märchen;
wo die mythologische Maskerade mit Apollo, Zeus und den neun Musen
»romantischer« erscheinen wird als das Streben des Novalis oder Runge
nach einem neuen Mythus. Denn die Romantik, die man begraben wähnt,
ist nicht tot. Ihr Zeitliches, vielmehr: ihre Unfähigkeit in der Zeit sich durch#
zusetzen, ihre Voreiligkeit, aus der Zeit in falsche Vergangenheitsformen
sich zu flüchten — alles das, was der Sprachgebrauch »Romantik« nennt,
wird von ihr abfallen: ihr Ewiges wird bestehen, wird auferstehen — seine
Zeit ist erst gekommen. Unter welchem Namen es wiederkehren wird, ob
der Schimpfname Romantik in neuer Zeit zu einem Ehrennamen sich wan#
delt — das ist eine andere Frage. Uns scheint es nicht wahrscheinlich, daß
dieser Schicksalsbegriff, der zum Inbegriff der schwachen, kranken, unter#
gehenden Sache wurde, das Sinnbild einer neuen Epoche deutschen Geistes
werde. Was als Romantik vor hundert Jahren scheitern mußte, weil es hun#
dert Jahre zu früh kam, wird späteren Zeiten vielleicht als eine Klassik
gelten, als der schlechthin nordische Stil und Geist, als das namenlose Eigene,
das des fremden Vorbildbegriffs nicht mehr bedarf — wenn es gelingt, dieses
Zeitlose, Ewige, das doch einen ganz bestimmten Geist#Stoff# und Form#
komplex in sich schließt, siegreich zu machen; wenn wir, belehrt durch
das romantische Schicksal, den Gefahren der Zeit#Romantik entrinnen.
II
»Das Romantische ist das Kranke, das Klassische ist das Gesunde« — man
kennt dieses Werturteil, das, durch Goethe geheiligt, nicht nur das Zeitliche,
sondern auch das Zeitlose und Ewige an der Romantik bis heute diskreditiert.
Daß Goethe gerade mit diesem Ausspruch das Klassische nicht als Stil#
begriff faßte, sondern als Bezeichnung des Wohlgeratenen und Tüchtigen
überhaupt, in welches er das Nibelungenlied ausdrücklich einbegriff — das
haben seine Nachbeter längst vergessen, und haben mit diesem vielzitierten
Spruch gerade das künstlerische Grundprinzip, das die Romantik nur wieder#
erwecken wollte, verdammen zu können gemeint. Freilich befindet Goethe
sich hier in einem unlösbaren Widerspruch, wenn er das Lob, das er einem
nordischen Werke spendet, in einen Ausdruck kleidet, der es dem antiken
Maßstab, als dem einzig gültigen, unterwirft. Denn füglich kann sich die
nordische Kunstwelt dagegen wehren, so belobt zu werden: sie sieht es
lieber, wenn ihre ihr gemäße Beschaffenheit und also Gesundheit: das Wilde,
Phantastische, Maßlose, Verzerrte, anscheinend Subjektive, dem Fremdbeein#

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