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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Benz, Richard: Aussprüche des Novalis über das romantische Geisterreich der Poesie
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0230

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Ton ist Luftsubstanz, Luftseele, die fortpflanzende Luftbewegung ist eine
Affection der Luft durch den Ton. Im Ohre entsteht der Ton von neuem.
Die Musik redet eine allgemeine Sprache, durch welche der Geist frei, uns
bestimmt angeregt wird; dies thut ihm so wohl, so bekannt und vaterländisch,
er ist auf diese kurzen Augenblicke in seiner Heimath. Alles Liebe und Gute,
Zukunft und Vergangenheit regt sich in ihm, Hoffnung und Sehnsucht.
Unsre Sprache war zu Anfang viel musikalischer, sie hat sich nur nach und
nach so prosairt, so enttönt; sie ist jetzt mehr Schall geworden, Laut, wenn
man dieses schöne Wort so erniedrigen will; sie muß wieder Gesang werden.

Wie der Maler mit ganz andern Augen, als der gemeine Mensch die sicht#
baren Gegenstände sieht, so erfährt auch der Dichter die Begebenheiten der
äußern und innern Welt auf eine sehr verschiedene Weise vom gewöhnlichen
Menschen. Nirgends aber ist es auffallender, daß es nur der Geist ist, der die
Gegenstände, die Veränderungen des Stoffes poetisirt, und daß das Schöne,
der Gegenstand der Kunst, uns nicht gegeben wird, oder in den Erschei#
nungen schon fertig liegt, als in der Musik. Alle Töne, welche die Natur
hervorbringt, sind rauh und geistlos, nur der musikalischen Seele dünkt oft
das Rauschen des Waldes, das Pfeifen des Windes, der Gesang der Nachtigall,
das Plätschern des Bachs melodisch und bedeutsam. Der Musiker nimmt
das Wesen seiner Kunst aus sich, auch nicht der leiseste Verdacht von Nach#
ahmung kann ihn treffen. Dem Maler scheint die sichtbare Natur überall
vorzuarbeiten, durchaus sein unerreichbares Muster zu seyn: eigentlich ist
aber die Kunst des Malers so unabhängig, so ganz a priori entstanden, wie
die Kunst des Musikers. Der Maler bedient sich nur einer unendlich schwe#
rern Zeichensprache, als der Musiker. — Sehen ist hier ganz activ, durch#
aus bildende Thätigkeit. Sein Bild ist nur seine Chiffer, sein Ausdruck, sein
Werkzeug der Reproduktion. Der Musiker hört eigentlich auch activ, er hört
heraus. Freilich ist dieser umgekehrte Gebrauch der Sinne den Meisten ein
Geheimniß, aber jeder Künstler wird es sich mehr oder minder deutlich bewußt
seyn. Fast j eder Mensch ist in geringem Grade schon Künstler, er sieht in derThat
heraus und nicht herein, er fühlt heraus und nicht herein. Der Hauptunter#
schied ist der: der Künstler hat den Keim des selbstbildenden Lebens in seinen
Organen belebt, die Reizbarkeit derselben für den Geist erhöht, und ist mit#
hin im Stande Ideen nach Belieben, ohne äußere Sollicitation, durch sie heraus
zu strömen, sie als äußre Werkzeuge zu beliebigen Modificationen der wirk#
liehen Welt zu gebrauchen; dagegen sie beim Nicht#Künstler nur durch Hin#
zutritt einer äußern Sollicitation ansprechen, und der Geist, wie die träge Ma#
terie, unter den Grundgesetzen der Mechanik zu stehen, oder sich diesem
Zwange zu unterwerfen scheint.
Stimmungen, unbestimmte Empfindungen, nicht bestimmte Empfindungen
und Gefühle machen glücklich. Man wird sich wohl befinden, wenn man
keinen besonderen Trieb, keine bestimmte Gedanken# und Empfindungs#
reihe in sich bemerkt. Dieser Zustand ist wie das Licht, ebenfalls heller oder

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