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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Halm, Philipp Maria: Spätmittelalterliche Passionsplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0251

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SPÄTMITTELALTERLICHE
PASSIONSPLASTIK
PHILIPP MARIA HALM
Mehr als irgend ein anderes Thema des christlichen Bilderkreises hat
die Passion, mit der die Kirche das bittere Leiden und Sterben des
Herrn beginnend mit dem Einzug in Jerusalem und endigend mit
Überwindung des Todes durch die Auferstehung, bezeichnet, die Kunst des
Mittelalters erfüllt. Sie wurde selbst zum Kelch des Lebens, zum Inbegriff
und Symbol der Lehre vom Heil. Aber es hatte Jahrhunderte gewährt, bis
die Kunst sich vollkommen losrang aus dem Banne altchristlicher Anschau?
ung, die mehr durch die Wunderwirksamkeit und Verherrlichung Christi
und durch Symbolismen den Gläubigen gepredigt hatte, zu der unmittel?
baren Gefolgschaft des Herren auf seinem blutgesäumten Wege im Anblick
seiner Leiden in Bildgestalt. Die ältere Kunst hat alle Zeugnisse mensch?
licher Kleinheit und Gebrechlichkeit sorgsam vor der Hoheit des Leidenden
zurückgedrängt, und der da am Kreuze hing, war nicht die Jammergestalt
des verspotteten und geschändetenRabbiJeschuah, sondern der Siegesherzog,
der Fürst der Menschheit, der das Kreuzholz erstiegen, der Regent des Hirn?
mels (Kaedmon), von dem der Hymnus singt: deligno regnavit deus. Nicht
die Dornenkrone trug er, sondern den Königsreif, und sieghaft umfaßte sein
offenes Auge, die ihn glaubten. Ecce rex terrae et coeli!
Das 13. Jahrhundert bedeutet die entscheidende Wandlung zu dem Ecce homo
in seiner Verlassenheit und Ohnmacht, in der Armseligkeit und Gebrech?
lichkeit seiner Knechtsgestalt.
In Tausenden von Darstellungen stellt die bildende Kunst der Gotik dem
gläubigen Volke das Drama vor Augen, aus dem sich, angebahnt schon
durch die Kreuzzüge und vor allem gefördert durch die Fahrten nach dem
heiligen Lande, die schmerzensreichen Geschehnisse zu dem blutigen Rosen?
kränze des Kreuzweges aneinanderreihten, der anschließend an die Gebets?
stunden zunächst sieben Szenen umfaßte, in der Regel: Pilati Verhör, Kreuz?
tragung, Christus und die Frauen, Annagelung, Kreuzestod, Kreuzabnahme
und Grablegung. Mählich aber weitete sich die Zahl der Stationen, und, wie
die Kirche selbst die Passionszeit mit dem Palmsonntag, dem Sonntag vor
Ostern, einleitete und sie mit dem Osterfeste schloß, so weitete sich auch
der Bilderkreis der Passionskunst. Nicht so sehr aber war es die Legende
selbst, mit ihrem mehr oder weniger großen Figurenaufwand, in die sich das

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