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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Goltz, Joachim von der: Klaus der Briefträger: Novellistisches Fragment aus dem Roman Robert Melas : Die Geschichte eines bösen Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.44743#0340

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scheulichen Parfümen gewisser Medikamente. Jetzt in dem Garten spürte
ich plötzlich den feinen kräftigen Duft des Hollunders. Diese Entdeckung
machte mich glücklich. Und noch eines. Niemals, soweit ich mich zurück«
entsinne, hatte ich Anteil genommen an dem Sternenhimmel. Es war da
irgendeine Scheu, eine böse Erinnerung. Ich wußte auch kein einziges Stern«
bild mit Namen zu nennen. Jetzt wurde mein Blick unwillkürlich angezogen
von einem Stern, der über einer Hecke von Taxusbäumen stand. Er funkelte
bald rot und bald grün. Ich konnte den Blick nicht abwenden. Der Nacken
schmerzte mich, ich mußte denken, wie ärmlich das war und wie sonder#
bar, daß ich mir zeitlebens nie die Sterne angesehen hatte. Sirius hieß der
Stern, ich erinnerte mich aus der Physikstunde, es kam plötzlich wieder, was
ich zwanzig Jahre lang vergessen hatte. Ich war wiederum sehr glücklich.
Alles, was ich tat in jener Nacht machte mich glücklich. Als ich heimkam,
warf ich mich angekleidet auf mein Bett, um noch eine Stunde zu schlafen.
Ich träumte von einem ungeheuren Schlüssel, mit dem sollte ich einen
winzig kleinen Briefkasten aufschließen. Als es endlich glückte, und ich die
Briefe herausholen wollte, floß rotes dickes Blut aus der unteren Öffnung
des Kastens . ..
Als ich am andern Tag auf meinem Dienstgang den Garten betrat, — ich
brachte einen Brief, der an den Mann adressiert war — ich sage, als ich auf
die Haustüre zuging, kam sie mir entgegen, für die Stadt angekleidet. Sie
hatte offenbar auf mich gewartet. Ich Narr, obwohl ich mir den Grund
dachte, bezog ich das Warten auf mich. Narr, der ich war, den ganzen Weg
hatte ich Kinderliedchen geträllert, die mir mit einmal einfielen, weiß nicht
woher. Als ich über den Kiesweg ging, sage ich — sie kam mir entgegen,
nein sie kam von der Seite aus den Sträuchern — ich schwankte, es war so
ein Taumeln. Ich will es kurz machen. Den Brief, den ich ihr hinhielt, und
nach dem sie hastig griff, — ich ließ ihn fallen und faßte ihre Hand. Ein
Stoß traf mich vor die Brust, ich floh aus dem Garten wie ein Verbrecher...«
Klaus war leichenblaß, sein Gesicht bestand nur mehr aus Öffnungen, aus
Mund und Augen.
»Seitdem,« fuhr er fort, »bin ich dem Dämon meines Lasters rettungslos ver«
fallen. In den letzten Jahren war in meinem Charakter immer deutlicher die
Neigung hervorgetreten, meine Opfer eigenmächtig zu quälen, und den Acker
selbst zu bestellen, von dem meine Schadenfreude ernten sollte. Jedoch ich
arbeitete an mir, ich ließ nichts unversucht, um so wie ich nun einmal war
mit den Menschen auszukommen. Wer immer strebend sich bemüht. . . bei
Gott, so einer war ich. Ein sittlicher Mensch war ich.
Jetzt wurde das alles anders. Das Laster besaß mich, es trieb und hetzte
mich zu immer neuen Teufeleien. Das Revier war mir gleichgültig geworden,
dennoch zerriß ich ein Gesuch, das meine Verwendung als Geldbriefträger
beantragte. Der zweimal tägliche Gang, und vornehmlich die zehn oder
fünfzehn Minuten, die ich an den Staffeln herummanövrierte, bildeten den
Inhalt meines Lebens. Ich wußte, daß die Frau Lydia nichts zu tun und zu
wünschen hatte, im Traum und im Wachen nicht, als daß ein Brief ihres
Mannes käme. Diesen Brief konnte kein anderer bringen als ich. Wenn sie
von dem Brief träumte, so träumte sie auch von mir. Ein besonderer Reiz

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