deutsche Sendung und wurde vom Burgtheater
mit einer Aufführung der Pippa gefeiert. Sie
war lobenswert und erfreute nach einem sozu«
sagen expressionistischen Wilhelm Teil, dessen
furioso gemalte Bühnenbilder mit der herge«
brachten Diktion des Spiels, der Regie, den
alten Kostümen nicht eben harmonieren wollten.
An sich hätten diese Bühnenbilder schon etwas
von der Landschaft des Dramas sagen können.
Alte Wiener gruselte es.
Am meisten Geist und Tempo zeigt eine neue
oder doch dem Schauspiel erst wieder gewon«
nene Bühne, das Raimund«Theater. Unter der
Leitung Rudolf Beers hat sie mit dem Florian
Geyer begonnen und gesiegt; Eugen Kloepfer
spielte einen ergreifenden Geyer, Karl Heinz
Martin führte klug und fein Regie. Dann wurde
Bahrs vielleicht bestes Stück »Der Meister«,
gleichfalls mit Kloepfer, gegeben, mit demselben
der ,Woyzzek‘, bald darauf Kaisers »David und
Goliath«, ein sternheimischer Moliere mit Pallen«
berg und es soll in dem gleichen guten Geist
weiter gehen. Es wäre Gewinn. Aber ich sollte
mich wundern, wenn es genug »Gewinn«
wäre.
Ich bin eigentlich zu Ende, und wenn ich von
neuerer bildender Kunst geschwiegen habe, so
war es das Beste, was ich darüber sagen konnte.
Nicht verschweigen möchte ich aber, daß Wien
seit dem Sommer ein herrliches Museum alter
Kunst mehr besitzt, die sogenannte Estensische
Sammlung, jene Schätze des Hauses Modena,
die aus altem italienischen meist venezianischen
Besitz an die Este und damit an den Erz«
herzog Franz Ferdinand übergegangen waren.
Er hatte sie nicht geordnet und hielt sie ver«
schlossen. Leo Planiscig hat die mühevolle Sich«
tung vorgenommen, die Aufstellung vollendet
und darüber ein reich illustriertes Werk (bei
Schroll in Wien) herausgegeben. Man sieht
venezianische Trecento«Plastik von solcher Be«
deutung und Fülle, daß daneben nur noch Ve«
nedig selbst in Betracht kommt; sieht auch sonst
ungeahnte Schätze der Plastik von denÄgyptern
bis zur Spätrenaissance. Einige wundervolle
Gobelins, wenig Bilder, schöne Münzen.
Paul Stefan
BRIEF AUS DER SCHWEIZ. Zwischen
Deutschland und Frankreich gesetzt ist die
Schweiz nicht nur Vermittlerin deutschen und
französischen Geistes; sie hat wesentliche Eigen«
schäften von beiden Seiten im Blut und sie hat
das Glück, im Gegensatz zum Elsaß, französi«
sehen wie deutschen Einschlag mit dem Bewußt«
sein ihrer staatlichen Unabhängigkeit zu um«
fassen. Ich habe im vorigen Brief von den Be«
Ziehungen der schweizerischen zur deutschen
Kunst gesprochen, doch man würde den Schwei«
zer Geist einengen, ließe man sein lebendiges
Gefühl für den Rhvthmus der französischen
Kunst außer acht. Im deutschen Bern, im deut«
sehen Basel hat sich nicht allein eine französi«
sehe Kolonie erhalten, man muß tiefer blicken
und zu der Blüte französischen Geistes im
18. Jahrhundert, die recht eigentlich Ausdruck
der europäischen Kultur gewesen ist, zurück«
denken, um den französischen Charakter gerade
des schweizerischen Konservativen zu begreifen.
Nichts törichter, als von deutscher Seite den
Vorwurf zu erheben, die Schweiz habe im Kriege
ihre Blutsgemeinschaft mit Deutschland ver«
leugnet. Je tapferer der Schweizer für seine
ideelle Gemeinschaft mit deutschem Wesen und
deutschem Geist eintritt, solange ihm der Vor«
wurf welscher Parteinahme erspart wird, um so
eifersüchtiger wacht er über dem ungeschmäler«
tenBesitz seines romanischen Wesensteils. Wider«
strebend nur hat sich die Schweiz der neuen Idee
des Völkerbunds gebeugt und auf wesentliche
Vorrechte ihrer ewigen Neutralität verzichtet:
nachdem sie es getan, wird vielleicht nirgends
so wie in der Schweiz die neue Idee auch ideal
erlebt und aus eigener nationalen Bestimmung
verstanden werden. Die Züricher Zeitschrift
»Wissen und Leben« ist in den Händen des
Professors Bovet ein schönes Vorbild solchen
europäischen Ideals. Mögen die politischen Ver«
hältnisse und die gesellschaftliche Vitalität der
Schweiz zu normaler Zeit noch so klein sein —
auf alles fällt immer noch ein Glanz ihrer demo«
kratischen, das will heißen, ihrer europäisch«
ideellen Bestimmung, die eine Synthese ein«
ander widerstreitender Triebkräfte ist.
Mystisches und Handwerkliches, seiner Bauern«
natur Verwandtes erkennt der Schweizer in der
deutschen Kunst und gerade in der mittelalter«
liehen süddeutschen Kunst, von der im vorigen
Brief gesprochen wurde. Mit anderen Gefühlen,
aber mit dem gleichen Entzücken vermag er
die Sinnlichkeit der Franzosen nachzufühlen.
Alexandre Blanchet und Maurice Barraud, zwei
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mit einer Aufführung der Pippa gefeiert. Sie
war lobenswert und erfreute nach einem sozu«
sagen expressionistischen Wilhelm Teil, dessen
furioso gemalte Bühnenbilder mit der herge«
brachten Diktion des Spiels, der Regie, den
alten Kostümen nicht eben harmonieren wollten.
An sich hätten diese Bühnenbilder schon etwas
von der Landschaft des Dramas sagen können.
Alte Wiener gruselte es.
Am meisten Geist und Tempo zeigt eine neue
oder doch dem Schauspiel erst wieder gewon«
nene Bühne, das Raimund«Theater. Unter der
Leitung Rudolf Beers hat sie mit dem Florian
Geyer begonnen und gesiegt; Eugen Kloepfer
spielte einen ergreifenden Geyer, Karl Heinz
Martin führte klug und fein Regie. Dann wurde
Bahrs vielleicht bestes Stück »Der Meister«,
gleichfalls mit Kloepfer, gegeben, mit demselben
der ,Woyzzek‘, bald darauf Kaisers »David und
Goliath«, ein sternheimischer Moliere mit Pallen«
berg und es soll in dem gleichen guten Geist
weiter gehen. Es wäre Gewinn. Aber ich sollte
mich wundern, wenn es genug »Gewinn«
wäre.
Ich bin eigentlich zu Ende, und wenn ich von
neuerer bildender Kunst geschwiegen habe, so
war es das Beste, was ich darüber sagen konnte.
Nicht verschweigen möchte ich aber, daß Wien
seit dem Sommer ein herrliches Museum alter
Kunst mehr besitzt, die sogenannte Estensische
Sammlung, jene Schätze des Hauses Modena,
die aus altem italienischen meist venezianischen
Besitz an die Este und damit an den Erz«
herzog Franz Ferdinand übergegangen waren.
Er hatte sie nicht geordnet und hielt sie ver«
schlossen. Leo Planiscig hat die mühevolle Sich«
tung vorgenommen, die Aufstellung vollendet
und darüber ein reich illustriertes Werk (bei
Schroll in Wien) herausgegeben. Man sieht
venezianische Trecento«Plastik von solcher Be«
deutung und Fülle, daß daneben nur noch Ve«
nedig selbst in Betracht kommt; sieht auch sonst
ungeahnte Schätze der Plastik von denÄgyptern
bis zur Spätrenaissance. Einige wundervolle
Gobelins, wenig Bilder, schöne Münzen.
Paul Stefan
BRIEF AUS DER SCHWEIZ. Zwischen
Deutschland und Frankreich gesetzt ist die
Schweiz nicht nur Vermittlerin deutschen und
französischen Geistes; sie hat wesentliche Eigen«
schäften von beiden Seiten im Blut und sie hat
das Glück, im Gegensatz zum Elsaß, französi«
sehen wie deutschen Einschlag mit dem Bewußt«
sein ihrer staatlichen Unabhängigkeit zu um«
fassen. Ich habe im vorigen Brief von den Be«
Ziehungen der schweizerischen zur deutschen
Kunst gesprochen, doch man würde den Schwei«
zer Geist einengen, ließe man sein lebendiges
Gefühl für den Rhvthmus der französischen
Kunst außer acht. Im deutschen Bern, im deut«
sehen Basel hat sich nicht allein eine französi«
sehe Kolonie erhalten, man muß tiefer blicken
und zu der Blüte französischen Geistes im
18. Jahrhundert, die recht eigentlich Ausdruck
der europäischen Kultur gewesen ist, zurück«
denken, um den französischen Charakter gerade
des schweizerischen Konservativen zu begreifen.
Nichts törichter, als von deutscher Seite den
Vorwurf zu erheben, die Schweiz habe im Kriege
ihre Blutsgemeinschaft mit Deutschland ver«
leugnet. Je tapferer der Schweizer für seine
ideelle Gemeinschaft mit deutschem Wesen und
deutschem Geist eintritt, solange ihm der Vor«
wurf welscher Parteinahme erspart wird, um so
eifersüchtiger wacht er über dem ungeschmäler«
tenBesitz seines romanischen Wesensteils. Wider«
strebend nur hat sich die Schweiz der neuen Idee
des Völkerbunds gebeugt und auf wesentliche
Vorrechte ihrer ewigen Neutralität verzichtet:
nachdem sie es getan, wird vielleicht nirgends
so wie in der Schweiz die neue Idee auch ideal
erlebt und aus eigener nationalen Bestimmung
verstanden werden. Die Züricher Zeitschrift
»Wissen und Leben« ist in den Händen des
Professors Bovet ein schönes Vorbild solchen
europäischen Ideals. Mögen die politischen Ver«
hältnisse und die gesellschaftliche Vitalität der
Schweiz zu normaler Zeit noch so klein sein —
auf alles fällt immer noch ein Glanz ihrer demo«
kratischen, das will heißen, ihrer europäisch«
ideellen Bestimmung, die eine Synthese ein«
ander widerstreitender Triebkräfte ist.
Mystisches und Handwerkliches, seiner Bauern«
natur Verwandtes erkennt der Schweizer in der
deutschen Kunst und gerade in der mittelalter«
liehen süddeutschen Kunst, von der im vorigen
Brief gesprochen wurde. Mit anderen Gefühlen,
aber mit dem gleichen Entzücken vermag er
die Sinnlichkeit der Franzosen nachzufühlen.
Alexandre Blanchet und Maurice Barraud, zwei
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