wickelten Fläche, der entmaterialisierten Farbe
und der in Licht getauchten Bildebene. Was er
aber auf jeden Fall ist, das ist der erste und größte
Tektoniker der neueren Malerei; — nur schade,
daß man dergleichen Entdeckungen immer erst
nach 20 Jahren macht.
Bei Flechtheim werden 31 Gemälde von
Henry Matisse, zum Teil aus Privatbesitz,
vorgeführt. Hier ist alles schöne Farbe. Der
Gegenstand hat jede Taktilität, jede Plastizität,
verloren. Alles ist Fläche geworden und zwar
farbige Fläche, unvergleichlich aufgeteilte far*
bige Fläche. Die Farbe ist Selbstzweck. Sie ist
souverän geworden. Nie darf das Licht sie aufs
lösen. Von den Impressionisten trennt Matisse
eine Welt. Die Farbflächen werden sorgfältig
konturiert, klar in sich abgeschlossen, bewußt
nebeneinander gesetzt und gegeneinander ab*
gewogen. Bezeichnend ist ein Bild »Erinnerung
an Marokko«. Es ist nicht die übliche weiß*
glänzende Sandfläche, es sind keine buntge*
kleideten Afrikaner, keine goldenen Moscheen*
kuppeln, kein azurfarbener Himmel. Es ist ein
harmonisch über die Fläche gebreitetes Grün
und Grau, dazwischen das rotorangefarbene
Band eines Weges, überschnitten von den dunk*
len Akzenten zweier Baumstämme. Das Bild
ist lehrreich: Fläche und Farbe, schöne Farbe.
Zeichnungen vonKokoschka hängen bei F r i t z
Gurlitt. Porträtköpfe. Das letzte Menschliche
wird herausgeholt, und das Fazit ist Trauer.
Die Herren Dr.G o ldschmidt und Dr. Waller*
stein haben eine hübsche Ausstellung von Ba*
rockplastik eröffnet. Da man im klassizisti«
sehen Berlin selten dergleichen sieht, ist sie ver*
dienstvoll. Alfred Kuhn
DRESDENER AUSSTELLUNGEN. Arnold
zeigt außer Graphik einen Saal voll Ölwerke
von L. Corinth, der schöne Dinge bietet —
das schönste bezeichnenderweise eine unimpres*
sionistische Landschaft von 1893 —, aber zu
prinzipieller Stellungnahme nicht auffordert.
Wenn es der Zweck der Malerei ist, heitere
Farbigkeiten zu bringen, so hat August
Macke ihn erfüllt. Zwei Säle mit nachgelas*
senen Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen
des im September 1914 Gefallenen, bei E. Rich*
ter, beweisen dies. Wer den allzeit frohgemuten
und schaffenslustigen Bonner kannte, wird sein
Wesen treu in diesen kleinen feinen Dingen
wiedergespiegelt finden. Was größer war: sein
Mut zu jedem Wagnis, zu jedem Höhenpfad,
den die Kühnsten wiesen, oder der schmiegsame
Geschmack des Rheinländers, der das alles zu
Blumensträußen der Farbe wand, ist schwer zu
sagen; noch schwerer, ob er sich später zu einer
eigenen Note hindurchgefunden hätte. Übrigens
brauchten wir damals, vor 10 Jahren, solche wun*
derbare Deutungsfähigkeit durchaus und ver*
missen sie heute schmerzlich, da die Epigonen
von der Art der Kohlhoff, Kraus oder Seewald
und Unold uns nicht das unendlich liebens*
würdige Wandlungsvermögen dieses glück*
haften Menschen vom Rhein zu ersetzen ver*
mögen. Paul F. Schmidt
WORMS. Einer Einladung des »Wormser Bun*
des zur Pflege der bildenden Kunst« folgend,
hatte der »Verband der Kunstfreunde in
den Ländern am Rhein« seine diesjährige
Hauptversammlung nach Worms verlegt. Die
vom 30. November bis zum 3. Dezember
dauernde Tagung nahm einen glänzenden Ver*
lauf. Am Begrüßungsabend sprach Dr. Otto
Schmitt (Frankfurt a. M.), an Stelle des er*
krankten Museumsdirektors Dr. Witte (Köln),
in dem großen Festsaal des Cornelianums
über »Deutsche Plastik des 13. Jahrhunderts«.
Den Höhepunkt bildete der ungemein fes*
selnde Vortrag »Von Berlin nach Bamberg.
Eine Lebensfrage" der deutschen Kunst«, in
dem Wilhel m Schäfer, der Herausgeber der
Rheinlande, von der Schilderung eines Reise*
erlebnisses ausgehend ein künstlerisches Glau*
bensbekenntnis ablegte. Man kann nur wün*
sehen, daß seine beherzigenswerten Ausfüh*
rungen recht bald im Druck erscheinen und
weiteste Verbreitung finden möchten. Ein Er*
eignis, nicht allein für Worms, sondern für die
gesamten rheinischen Lande, bedeutet die bei
dieser Gelegenheit eröffnete Ausstellung. Als
erste Kunstschau, womit der Verband seine
durch den Krieg so lange unterbrochene Tätig*
keit wieder beginnt, und als letzte von 39 Ver*
anstaltungen, die in unserer Städtischen Ge*
mäldegalerie gezeigt wurden, ist sie zugleich ein
rühmlicher Abschluß und ein verheißungsvoller
Auftakt. Sie weist in die Zukunft und erweckt
die schönsten Hoffnungen für eine kräftige Neu*
belebung der deutschen Kunst, der auch in
Worms durch die Errichtung einer eigenen
40
und der in Licht getauchten Bildebene. Was er
aber auf jeden Fall ist, das ist der erste und größte
Tektoniker der neueren Malerei; — nur schade,
daß man dergleichen Entdeckungen immer erst
nach 20 Jahren macht.
Bei Flechtheim werden 31 Gemälde von
Henry Matisse, zum Teil aus Privatbesitz,
vorgeführt. Hier ist alles schöne Farbe. Der
Gegenstand hat jede Taktilität, jede Plastizität,
verloren. Alles ist Fläche geworden und zwar
farbige Fläche, unvergleichlich aufgeteilte far*
bige Fläche. Die Farbe ist Selbstzweck. Sie ist
souverän geworden. Nie darf das Licht sie aufs
lösen. Von den Impressionisten trennt Matisse
eine Welt. Die Farbflächen werden sorgfältig
konturiert, klar in sich abgeschlossen, bewußt
nebeneinander gesetzt und gegeneinander ab*
gewogen. Bezeichnend ist ein Bild »Erinnerung
an Marokko«. Es ist nicht die übliche weiß*
glänzende Sandfläche, es sind keine buntge*
kleideten Afrikaner, keine goldenen Moscheen*
kuppeln, kein azurfarbener Himmel. Es ist ein
harmonisch über die Fläche gebreitetes Grün
und Grau, dazwischen das rotorangefarbene
Band eines Weges, überschnitten von den dunk*
len Akzenten zweier Baumstämme. Das Bild
ist lehrreich: Fläche und Farbe, schöne Farbe.
Zeichnungen vonKokoschka hängen bei F r i t z
Gurlitt. Porträtköpfe. Das letzte Menschliche
wird herausgeholt, und das Fazit ist Trauer.
Die Herren Dr.G o ldschmidt und Dr. Waller*
stein haben eine hübsche Ausstellung von Ba*
rockplastik eröffnet. Da man im klassizisti«
sehen Berlin selten dergleichen sieht, ist sie ver*
dienstvoll. Alfred Kuhn
DRESDENER AUSSTELLUNGEN. Arnold
zeigt außer Graphik einen Saal voll Ölwerke
von L. Corinth, der schöne Dinge bietet —
das schönste bezeichnenderweise eine unimpres*
sionistische Landschaft von 1893 —, aber zu
prinzipieller Stellungnahme nicht auffordert.
Wenn es der Zweck der Malerei ist, heitere
Farbigkeiten zu bringen, so hat August
Macke ihn erfüllt. Zwei Säle mit nachgelas*
senen Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen
des im September 1914 Gefallenen, bei E. Rich*
ter, beweisen dies. Wer den allzeit frohgemuten
und schaffenslustigen Bonner kannte, wird sein
Wesen treu in diesen kleinen feinen Dingen
wiedergespiegelt finden. Was größer war: sein
Mut zu jedem Wagnis, zu jedem Höhenpfad,
den die Kühnsten wiesen, oder der schmiegsame
Geschmack des Rheinländers, der das alles zu
Blumensträußen der Farbe wand, ist schwer zu
sagen; noch schwerer, ob er sich später zu einer
eigenen Note hindurchgefunden hätte. Übrigens
brauchten wir damals, vor 10 Jahren, solche wun*
derbare Deutungsfähigkeit durchaus und ver*
missen sie heute schmerzlich, da die Epigonen
von der Art der Kohlhoff, Kraus oder Seewald
und Unold uns nicht das unendlich liebens*
würdige Wandlungsvermögen dieses glück*
haften Menschen vom Rhein zu ersetzen ver*
mögen. Paul F. Schmidt
WORMS. Einer Einladung des »Wormser Bun*
des zur Pflege der bildenden Kunst« folgend,
hatte der »Verband der Kunstfreunde in
den Ländern am Rhein« seine diesjährige
Hauptversammlung nach Worms verlegt. Die
vom 30. November bis zum 3. Dezember
dauernde Tagung nahm einen glänzenden Ver*
lauf. Am Begrüßungsabend sprach Dr. Otto
Schmitt (Frankfurt a. M.), an Stelle des er*
krankten Museumsdirektors Dr. Witte (Köln),
in dem großen Festsaal des Cornelianums
über »Deutsche Plastik des 13. Jahrhunderts«.
Den Höhepunkt bildete der ungemein fes*
selnde Vortrag »Von Berlin nach Bamberg.
Eine Lebensfrage" der deutschen Kunst«, in
dem Wilhel m Schäfer, der Herausgeber der
Rheinlande, von der Schilderung eines Reise*
erlebnisses ausgehend ein künstlerisches Glau*
bensbekenntnis ablegte. Man kann nur wün*
sehen, daß seine beherzigenswerten Ausfüh*
rungen recht bald im Druck erscheinen und
weiteste Verbreitung finden möchten. Ein Er*
eignis, nicht allein für Worms, sondern für die
gesamten rheinischen Lande, bedeutet die bei
dieser Gelegenheit eröffnete Ausstellung. Als
erste Kunstschau, womit der Verband seine
durch den Krieg so lange unterbrochene Tätig*
keit wieder beginnt, und als letzte von 39 Ver*
anstaltungen, die in unserer Städtischen Ge*
mäldegalerie gezeigt wurden, ist sie zugleich ein
rühmlicher Abschluß und ein verheißungsvoller
Auftakt. Sie weist in die Zukunft und erweckt
die schönsten Hoffnungen für eine kräftige Neu*
belebung der deutschen Kunst, der auch in
Worms durch die Errichtung einer eigenen
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