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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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sanftes Wiegen und Schwanken wird. Kompli«
kationen sind ferngehalten, und man ist des
schlichten Wiederholens froh, wie man vom
Windesfliistern nicht genug bekommen kann.
Dazu ein schlanker Ernst im Hintreten und im

Blick, überhaupt ein Teilhaben des Blicks, statt
jener Unpersönlichkeit der Züge bei der Wig«
man. Lachender Rausch, Verwegenheit der
Laune bleiben freilich versagt. Kapriziöses wirkt
schlenkrig. Auch diese Kunst ist beeinträchtigt
vom Wollen. Gewiß nicht kalt und ohne Eros,
sondern Werkehrlichkeit mit sehnsüchtigem
Traum eigentümlich mischend. Aber das Wollen
bedrängt und erhöht zugleich diese Natur. Es
treibt hier nicht zu neuen Möglichkeiten, ist nicht
pädagogisch gerichtet, doch klarbewußt und
wird sichtbar als ernste Schönheit, als Idealität
auch des Tanzens. Willi Wolfradt
Mary Wigman. Sie ist nicht schön, kann
aber sehr viel und will Bestes. Selten war
eine Frau mit so viel triefendem Ernst bei der
Sache. Dies spürt man und erklärt Mary Wig«
man für die interessanteste moderne Tänzerin.

Ist sie überhaupt eine Tänzerin, ist das, was sie
in geschmackvollen, aber im Grunde nichts«
sagenden Kostümen darbietet,Tanz: die ledig«
lieh musikalisch bedingte, ganz vorurteilslose
Darstellung überschüssiger Lust« (meinetwegen
auch Leidgefühle) mit den Mitteln körperlichen
Ausdrucks? Es scheint mir nicht so. Ist mir

nach dem ersten und einmaligen Sehen der
Künstlerin nicht so erschienen.

Was Mary Wigman darbietet, sind kunstvoll
erklügelte, also gedanklich gezeugte und geistig
und körperlich ungemein vital angesetzte Posen«,
Gesten« und Bewegungsfolgen nach Musik. Bis
ins Höchste verfeinerte Parterre«Akrobatik.

Aber geistig zweckvolle (nicht zwecklose, wie
im Variete). Mary Wigman tanzt nicht Tänze,
sondern Weltanschauung. Sie tanzt Schopen«
hauer, Nietzsche, Laotse und (leider) auch
Tagore. VielTagore sogar. Ohne sehr geschickte,
aber im Grunde recht verwässerte Orientalismen

geht es in fast keiner Nummer ab. Wer japa«
nische Schauspieler in ihrem eigenen Lande hat
tanzen sehen, muß über Mary Wigmans No«
Surrogat lächeln.
Eine Frau philosophiert mit Beinen, Kopf und
Händen. Was herauskommt, ist etwas Zwischen«
stufiges. Man vergißt bei ihren Exerzitien die
Frau, wird aber durch die weiblichen Betonun«

gen des Körpers immer wieder daran erinnert.
So kommt etwas Zwiespältiges in ihre Darstel«
lungen hinein. Etwas Unüberzeugendes, Un«
erfreuliches. Selten hat sich soviel theoretisches
und technisches Können dort oben auf der
Szene bewegt, selten aber haben wirkliche Fähig«
keiten letzten Endes so kalt gelassen.
Mary Wigman ist Laban«Schülerin. Ein Mann
lehrte sie das, was er unter Tanzen versteht.
Ein Mann einer offenbar fraulich nicht sehr
starken, aber höchst intelligenten, wißbegierigen
Frau. Ein sehr kluger, unerbittlicher, suggestiver
Mann. Was herauskam, war eine interessante
Mißverständlichkeit. »Jeder Einfluß ist schlecht,
ein guter Einfluß aber ist der allerschlechteste«,
sagt Oskar Wilde.
Zwei Stunden philosophisch«expressionistischer
Tanzexkurse — kein Mensch hält das aus. Der
Frankfurter Abend (in dem für diese Zwecke
viel zu großen Opernhause) war anstrengender
als der ganze »Palestrina«. Eine junge Dame
hinter mir in der Loge hatte viel geklatscht. Als
aber das vierte mystisch«orientalische Inter«
mezzo dort oben gar nicht zu Ende gehen
wollte, sagte sie ganz unvermittelt: »Ein König«
reich für einen One«step!« Es war roh, aber
richtig. Carl Hagemann
BUCHBESPRECHUNGEN
NEUE BÜCHER UND MAPPENWERKE.
Eine bunte Auswahl liegt vor. Ich beginne mit
den Mappen :
GeorgMathey läßtim Insel verlag lOHolz«
schnitte zur Bibel erscheinen, bevorwortet
von Theodor Däubler. Das Wesen des Holz«
Schnittes ist gut verstanden. Das Geschnittene
regiert. Trotzdem wird oft ein stark malerischer
Eindruck hervorgebracht. Die Blätter sind nicht
alle qualitativ gleich gut, am Besten zweifellos
jene, bei denen die Gesamtfläche durch vielerlei
Figurales aufgeteilt ist, so etwa »Die apokalyp«
tischen Reiter« und »Die Sintflut«. Die Phan«
tastik des Bildgegenstandes wird erhöht durch
das Geflacker von weiß und schwarz.
Unter ganz anderem Zeichen steht die 12 Blätter
umfassende Holzschnittfolge »Das Vater«
unser« Max Pechsteins (Propyläen«
verlag). Die protestantische Tüchtigkeit, die
aller Transzendenz abgewandte Erdigkeit dieses
Künstlers prägen sich eindeutig auf jedem Blatte

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