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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 3.1921/​1922

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Schon in den ersten Seiten der Prologhi fühlt
man, daß der Schriftsteller jene Seelenzustände,
die, noch rebellisch, voller Widersprüche, zer«
fallen, ihm als Rohmaterial zur besonders j ugend«
liehen Erschaffung von wenig wachen, unvor«
bereiteten Geistern dienen, glänzend schil«
dert. Die Prologhi enthalten weder Express
sionismus, Eclectizismus.noch Genremalerei. Es
fehlt ihnen jede Merkwürdigkeit und Unbe«
stimmbarkeit ästhetischer Abenteuer. Der Vers
fasser hat seine Materie und seine Methode sos
fort gefunden: Nämlich die Methode des Eigens
sinnes, der Wiederholung und Ausgrabung.
Die Ausdrucksweise ist im kleinsten Detail
beherrscht, die lebendige Erfahrung außers
ordentlich zurückhaltend und von eisernem Mißs
trauen beseelt.
... Inspiration ist für mich gleichgültig:
Poesie: Gesundheit und Leidenschaftslosigkeit:
Die Kunst zu schweigen:...
Der Originaltyp der Handlung ist strengstes
Maßhalten. Der Mensch kann sich als Produkt
der eigenen Handlungsweise betrachten und
sich im Verborgenen, das jede Tat enthält,
kundgeben. Doch vor allem muß sein Bes
streben sein, in der Stille, so viel er kann, von
diesem Unbekannten zu verbrauchen und zu
verbrennen, und, um ein biblisches Bild zu ge«
brauchen, das Zugegensein und das Herannahen
Gottes zuückzudämmen. Gott verstehen und ihn
anwenden bedeutet die letzte und wenigst wün«
sehenswerte der Eventualitäten. So finden wir
in den Prologhi eine scharfe Ansammlung von
Schwingungen, Bewegungen, Willensberichten,
als reine Gewohnheiten dargestellt. Landschaften
des Willens, Panorama der Zeit, polyphonische
Architekturen des Zweifels, Hingabe, Rache,
immer über das Thema jener heldenhaften Zus
rückhaltung. Aus strengen Betrachtungen, Wi«
derständen, Zurückdrängungen, magnetischen
Anziehungskräften entsteht ein nacktes Bild,
das dynamische Schema eines Menschen, ein
allegorischer Körper, gleichwie eine Unterhalt
tung über abstrakte Schmerzen und Hoffnungen.
Alles dieses in literarischer Hinsicht verwirk«
licht durch die Hartnäckigkeit eines beständigen
Prosaisten mit beinahe populären Satzteilen auch
im bewegtesten und entscheidendsten lyrischen
Momente und immer mit einer unendlichen
Gabe der Klarheit und zwar einer beinahe para«
doxen Klarheit.

In den Viaggi nelTempo erscheinen dieglei«
chen Eigenschaften verbessert und gefestigt wie«
der in Gesellschaft zweier neuer Zugaben: Vi«
sion und Ironie. Aus dem Reich der ängstlichen
Anstrengung gehen wir in das der fröhlichen
Kraft, aus der Sphäre des Willens in die der
Phantasie, aus einer verbrannten, verzweifelten
Atmosphäre in eine magisch leuchtende über.
Die beliebte Form ist nicht mehr der lyrische
Monolog, sondern die »Fabel« und die »Moral«.
Die Irrtümer des Don Juan, ein Auszug
aus Zarathustra, die Erschaffung des
Weibes sind die schönsten dieser Fabeln, in
denen sich die Kraft der Mitschulderkenntnis
in Vision und Lächeln aufgelöst hat. Das Buch
ist von einem elementaren Licht durchtränkt,
von sonnendurchleuchteten Figuren erfüllt, von
instinktiven und objektiven Formen, von Hei«
terkeit und Befreiung. Die Weisheit vergißt sich
selbst, sie ist nur noch eine Gelegenheit zu
musikalischen Freuden, gleich jener Kunst, die
Cardarelli bei Leopardi erwähnt, in der: »der
Stil eine einzige Lust ist«, ein fast schwärme«
risches, musikalisches Vergnügen einer müden
Seele, die ihrer eigenen Gedanken überdrüs«
sig ist.
Doch blieb Cardarelli nicht hierbei: sein letztes
Werk, die Fabeln der Genesis, die noch
nicht in Buchform, sondern in Fragmenten der
Ronda erschienen, zeigen uns diesen Schrift«
steiler auf einer dritten Entwicklungsstufe. Wenn
wir ihn in den Viaggi nel Tempo auf halbem
Wege sahen, erläuternde Sagen zu schaffen, so
gab er in den Fabeln der Genesis der ewigen
Geschichte des irdischen Paradieses, Kain und
der Sündflut eine neue Form. Der biblische
Stoff, die abgenutzteste und dauerhafteste aller
Themen der zivilisierten Welt, bot seiner Sensi«
bilität, seinem Lyrismus und seiner Ironie die
besten Motive.
Ich hoffe bald und ausführlich über diese Fabeln
berichten zu können, wenn das Werk vollendet
vorliegt, aber bereits jetzt kann man sagen, daß
hier eines der hochstehendsten Bücher lyri«
scher Prosa entsteht, die die italienische Literatur
nach der Operette Morali von Leopardi be«
sitzen wird. Emilio Cecchi
KUNST IN WIEN. Das Bild dieser letzten
Wochen nimmt dem Rückblickenden immer ein«
fächere Linien an. Ungeheuerliche Geschäftig«

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