»Hineintragen der elementaren musikalischen
Kräfte in die aufnahmefreudigen Herzen der
Jugend«. Dann werden die zum Musikerberuf
ausbildenden Musikschulen untersucht. Einer
kurzen Übersicht über die Entwickelung des
Unterrichtswesens folgt eine Charakteristik des
gegenwärtigen Privatunterrichts und seiner viels
fachen Mißstände, die erst durch die staatliche
Lehrerprüfung gehoben werden dürften. Durch
die Vorhallen der Volksmusikschule und eines
Musikgymnasiums, das aus der Idee der Arbeitss
schule herauswachsen muß, gelangen wir in die
Hochschulen und Orchesterschulen, in die
»Musikpädagogische Akademie«, die sich
wiederum in vier Fächer gliedert. In Meisters
kursen gipfelt zuletzt das musikalische Erzies
hungswesen. Dieses ist unlösbar verknüpft mit
der Musikpflege, der der zweite kürzere Abs
schnitt des Buches gewidmet ist. Hier wird es
Pflicht des Staates und der Städte sein, das Volk
als Gesamtheit zu produktiver Anteilnahme an
der Musikentwickelung heranzuführen. »Es gibt
nur eine Hilfe für Musik und Musiker: die Sos
zialisierung oder Kommunalisierung der Agens
turen.« (Von letzterer wird auch die Musikkritik
berührt.) Kestenberg schildert die Notlage der
Schaffenden, entwirft den Plan einer Volksoper,
stellt fortschreitendes orchestrales Denken bei
den Hörern fest. In die volkstümliche Musiks
pflege müsse das Zeitgenössische mehr und mehr
einbezogen werden. Man kann nur wünschen,
daß die Not unserer Wirtschaft die Verwirks
lichung dieser keineswegs utopischen Fordes
rungen nicht zu sehr erschweren möge.
Dr. James Simon
Bull und die Begegnung des Jünglings mit dem
feurigen Nordraak, der ihn dem Gadeschen
weichlichen Skandinavismus abwendig macht
und durch den Hinweis auf die nordischen
Volksweisen in die ihm gemäße Bahn lenkt.
Wir hören von seiner Freundschaft mit Kjerulf
und Svendsen in Christiania, von seinen großen
Weggenossen Liszt, Ibsen und Björnson, und
besuchen ihn zuletzt in seinem wahnfriedlichen
Heim, der Villa Troldhangen bei Bergen. Von
seinen Werken bewertet Stein am höchsten die,
welche griegisch, norwegisch und allgemeins
menschlich zugleich sind, bei denen also das
nationale Element nur eine Unterströmung
bildet und der persönliche Ausdruck entscheidet.
Die Klavierstücke erscheinen ihm mit Ausnahme
des AsmolhKonzerts durchweg als Hausmusik;
sie erfahren ebenso wie die Kammermusik (z. B.
die 3 Violinsonaten), die Chors, Orchesters und
Bühnenwerke eine treffende, die Spreu vom
Weizen scheidende Charakteristik. Gewisse
melodische Eigentümlichkeiten der Griegschen
Tonsprache werden festgelegt, z. B. der Terzs
Sprung des Leittons abwärts in die Dominante,
wie er auch in der Volksmusik seines Landes
häufig wiederkehrt. So wendet sich Steins
Buch gleichermaßen an Fachgenossen, Musiks
freunde und künstlerisch Interessierte und
bietet eine willkommene Ergänzung zu der
1908 erschienenen GriegsLiteratur.
Dr. James Simon
BUCHBESPRECHUNGEN
WERNERWEISBACH. DER BAROCK
ALS KUNST DER GEGEN REFORM As
GRIEG. Eine Biographie von Richard H.
Stein (Schuster & Löffler 1921). Die Lebenss
beschreibungen des 17. Jahrhunderts, die uns
»Leben, Taten und Meinungen« berühmter Pers
sönlichkeiten naiv und unterhaltsam schildern,
haben dieser populären GriegsBiographie zum
Muster gedient. Jetzt — 13 Jahre nach dem Tode
des norwegischen Künstlers — haben wir ja die
nötige Distanze,um sein Schaffen mit allen seinen
Vorzügen und Schwächen richtig zu überblicken.
Zunächst beschreibt derVerfasser Griegs äußeres
Dasein, das zwar an besonderen Erlebnissen
nicht reich, doch dramatische Momente aufweist,
wie gleich die Entdeckung des begabten Knaben
durch den abenteuerlichen Violinvirtuosen Ole
TION. (Mit 99 Abb. Berlin, Paul Cassirer.
In Hlw. Mk. 80.—.) Weit ausholend wird hier
ein soziologisches Element der Barockkunst
von Weisbach herausgegriffen und sauber
durchanalysiert, auf die Momente des Heros
ischen, Erotischen, Mystischen, Asketischen
und Grausamen je eine umfassende Unters
suchung gestellt, immer an Hand von ausges
zeichnet gewähltem und reproduziertem Mas
terial der vornehmsten Künstler des 17. Jahrs
hunderts. Man lernt so freilich mehr von
Kulturgeschichte, vom Geist der Zeit und ihrer
Religiosität kennen als von Kunst; bedenkt
man aber, wie viel Anregung durch die Beobs
achtung des Inhaltlichen und Kulturgeschichts
58
Kräfte in die aufnahmefreudigen Herzen der
Jugend«. Dann werden die zum Musikerberuf
ausbildenden Musikschulen untersucht. Einer
kurzen Übersicht über die Entwickelung des
Unterrichtswesens folgt eine Charakteristik des
gegenwärtigen Privatunterrichts und seiner viels
fachen Mißstände, die erst durch die staatliche
Lehrerprüfung gehoben werden dürften. Durch
die Vorhallen der Volksmusikschule und eines
Musikgymnasiums, das aus der Idee der Arbeitss
schule herauswachsen muß, gelangen wir in die
Hochschulen und Orchesterschulen, in die
»Musikpädagogische Akademie«, die sich
wiederum in vier Fächer gliedert. In Meisters
kursen gipfelt zuletzt das musikalische Erzies
hungswesen. Dieses ist unlösbar verknüpft mit
der Musikpflege, der der zweite kürzere Abs
schnitt des Buches gewidmet ist. Hier wird es
Pflicht des Staates und der Städte sein, das Volk
als Gesamtheit zu produktiver Anteilnahme an
der Musikentwickelung heranzuführen. »Es gibt
nur eine Hilfe für Musik und Musiker: die Sos
zialisierung oder Kommunalisierung der Agens
turen.« (Von letzterer wird auch die Musikkritik
berührt.) Kestenberg schildert die Notlage der
Schaffenden, entwirft den Plan einer Volksoper,
stellt fortschreitendes orchestrales Denken bei
den Hörern fest. In die volkstümliche Musiks
pflege müsse das Zeitgenössische mehr und mehr
einbezogen werden. Man kann nur wünschen,
daß die Not unserer Wirtschaft die Verwirks
lichung dieser keineswegs utopischen Fordes
rungen nicht zu sehr erschweren möge.
Dr. James Simon
Bull und die Begegnung des Jünglings mit dem
feurigen Nordraak, der ihn dem Gadeschen
weichlichen Skandinavismus abwendig macht
und durch den Hinweis auf die nordischen
Volksweisen in die ihm gemäße Bahn lenkt.
Wir hören von seiner Freundschaft mit Kjerulf
und Svendsen in Christiania, von seinen großen
Weggenossen Liszt, Ibsen und Björnson, und
besuchen ihn zuletzt in seinem wahnfriedlichen
Heim, der Villa Troldhangen bei Bergen. Von
seinen Werken bewertet Stein am höchsten die,
welche griegisch, norwegisch und allgemeins
menschlich zugleich sind, bei denen also das
nationale Element nur eine Unterströmung
bildet und der persönliche Ausdruck entscheidet.
Die Klavierstücke erscheinen ihm mit Ausnahme
des AsmolhKonzerts durchweg als Hausmusik;
sie erfahren ebenso wie die Kammermusik (z. B.
die 3 Violinsonaten), die Chors, Orchesters und
Bühnenwerke eine treffende, die Spreu vom
Weizen scheidende Charakteristik. Gewisse
melodische Eigentümlichkeiten der Griegschen
Tonsprache werden festgelegt, z. B. der Terzs
Sprung des Leittons abwärts in die Dominante,
wie er auch in der Volksmusik seines Landes
häufig wiederkehrt. So wendet sich Steins
Buch gleichermaßen an Fachgenossen, Musiks
freunde und künstlerisch Interessierte und
bietet eine willkommene Ergänzung zu der
1908 erschienenen GriegsLiteratur.
Dr. James Simon
BUCHBESPRECHUNGEN
WERNERWEISBACH. DER BAROCK
ALS KUNST DER GEGEN REFORM As
GRIEG. Eine Biographie von Richard H.
Stein (Schuster & Löffler 1921). Die Lebenss
beschreibungen des 17. Jahrhunderts, die uns
»Leben, Taten und Meinungen« berühmter Pers
sönlichkeiten naiv und unterhaltsam schildern,
haben dieser populären GriegsBiographie zum
Muster gedient. Jetzt — 13 Jahre nach dem Tode
des norwegischen Künstlers — haben wir ja die
nötige Distanze,um sein Schaffen mit allen seinen
Vorzügen und Schwächen richtig zu überblicken.
Zunächst beschreibt derVerfasser Griegs äußeres
Dasein, das zwar an besonderen Erlebnissen
nicht reich, doch dramatische Momente aufweist,
wie gleich die Entdeckung des begabten Knaben
durch den abenteuerlichen Violinvirtuosen Ole
TION. (Mit 99 Abb. Berlin, Paul Cassirer.
In Hlw. Mk. 80.—.) Weit ausholend wird hier
ein soziologisches Element der Barockkunst
von Weisbach herausgegriffen und sauber
durchanalysiert, auf die Momente des Heros
ischen, Erotischen, Mystischen, Asketischen
und Grausamen je eine umfassende Unters
suchung gestellt, immer an Hand von ausges
zeichnet gewähltem und reproduziertem Mas
terial der vornehmsten Künstler des 17. Jahrs
hunderts. Man lernt so freilich mehr von
Kulturgeschichte, vom Geist der Zeit und ihrer
Religiosität kennen als von Kunst; bedenkt
man aber, wie viel Anregung durch die Beobs
achtung des Inhaltlichen und Kulturgeschichts
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