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des Judas Ischariot.

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datum: dafs, sobald er Jesus am Frühmorgen dem Rö-
mischen Statthalter übergeben sieht, er in die rathlo-
seste Verzweiflung übergeht. Der Geschichtforscher
steht also zwischen den beiden Gewifsheiten: dieGe-
fangennehmung Jesu leitete der Verräther, ohne sich
irgend davon abhalten zu lassen; und dennoch war es
gar nicht sein Wille, vielmehr zeigt er, bis dahin es
für unmöglich gehalten zu haben, dafs der durch ihn
in Gefangenschaft gebrachte Tadellose auch
in entschiedene Todesgefahr kommen sollte. Denn so-
bald er Jesus für unrettbar hält, ist er aufser sich und
erhenkt sich selbst, wahrscheinlich noch ehe das Rö-
mische Urtheil ausgesprochen oder vollzogen war. Was
mufs nun — fragt der Pragmatiker — in diesem ver-
kehrten Gemüth zum Grund gelegen haben, dafs er den
Verrath beschlofs? und was mufs noch dazwischen von
ihm gedacht gewesen seyn, so dafs er dennoch den Tod
Jesu nicht beabsichtigt, ja ihn gar nicht als die Folge
seiner Verrätherei erwartet hatte?
Am meisten fällt aus dem Charakter des Judas in die
Augen, dafs er aus dem Gesellschaftsbeutel heimlich
entwendet habe. Er wird daher gewöhnlich als nieder-
trächtig-geizig gedacht. Der Verf. aber bemerkt scharf-
sinnig*, dafs ein Geiziger die Vortheile, welche er bei
Jesus haben konnte, den Hohenpriestern nicht um den
erbärmlichen Preis von 80 Silberlingen verkauft, son-
dern ganz anders gefeilscht haben würde. Er ist des-
wegen vielmehr darauf aufmerksam, dafs selbst die bes-
seren Apostel vor und nach dem Tode Jesu Apostg. 1, 6.
sich eine baldige äufserliche Herstellung des messiani-
schen Reichs über Israel eingebildet, und theils Mth. 20,
20. sich zum voraus Oberstelien darin zu erbitten ge-
sucht, theils unter sich über Vorzugsansprüche bis zum
letzten Abend eifersüchtig genug Luk. 22, 24 — 30.
mehrmals gezankt hatten. Auch in Judas war demnach
höchst wahrscheinlich eben diese Herrschlust, aber mit
so vieler Leidenschaftlichkeit verbunden, dafs er durch
jedes, auch noch so verwerfliche Mittel sich über alle
 
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