Czolbe: Grenzen und Ursprung der menschlichen Erkenntniss. 643
freilich nicht mechanisch ausrechnen.« Was der Herr Verf. von
dieser Minorität sagt, gilt auch von andern Dingen der Moral und
des Rechtes. Hier hört die Anwendung der Mechanik auf, weil sich
die Dreiheit oder innere Selbstbestimmungsfähigkeit des einzelnen
menschlichen Geistes nicht unter mathematische Axiome und For-
meln bringen lässt.
Es folgt die »Unterscheidung des Guten vom Bösen, die Unter-
suchung über Gewissen und sittliche Freiheit.« Natürlich kann von
einer Durchführung des mechanischen Princips auf alle Fragen des
Lebens keine Rede sein. Es giebt, weil der Mechanismus, wie der
Herr Verf. nachzuweisen sucht, in dieser Welt herrscht und in allen
Erscheinungen der Natur und des Geistes nachgewiesen werden soll,
keine andere Welt, als diese. Von einer transcendentalen, jensei-
tigen Welt, einer Welt der Geister nach dem leiblichen Tode, will
der Herr Verf. nichts wissen. Er tritt darum gegen alles, was er
»übernatürlich« nennt, auf, gegen Gott, Unsterblichkeit und auch
gegen die sittliche Freiheit. Wenn er sich daher auch entschieden
gegen den Materialismus erklärt und ihm den Naturalismus,
wie er seine Lehre nennt, oder den Atheismus entgegenstellt,
so stimmt er doch in den negativen Resultaten mit den Materia-
listen überein. Die Unterschiede dieses Naturalismus oder
Atheismus, wie er auch seine Lehre nennt, vom Materialismus
werden wir im Laufe der Darstellung entwickeln. Die moralische
Seite dieser Negationen wird S. 30 also angedeutet: »Dass wir
bei unserem Handeln auf keine übernatürliche Hülfe rechnen können,
dass Unglückliche keinen Ersatz durch ein künftiges Leben zu er-
warten haben: sind energische Antriebe theils zum Selbstvertrauen,
theils zur thatkräftigen Menschenliebe; der Wegfall des übernatür-
lichen Himmels ist der kräftigste Sporn, ihn hier auf Erden zu
verwirklichen. Wir wünschten wahrlich, alle Vorwürfe mit so ruhi-
gem Gewissen zurückweisen zu können, als den immer und immer
ohne irgend welche tiefere Begründung wiederholten Vorwurf, dass
unsere naturalistische Ueberzeugung den Principien der Moral und
des Rechtes widerspreche, was dann durch die Behauptung ge-
mildert werden soll, die Naturalisten seien persönlich besser, als
die Consequenzen ihrer Lehre! Sicher ist das Umgekehrte der
Fall.«
Gewiss wird Niemand behaupten wollen, dass mit dem Natura-
lismus Moral und Recht nicht vereinbar seien, dass diese jenem
widersprechen. Ja gewiss ist die reinste Sittlichkeit, das Gute
des Guten wegen zu lieben und zu üben, ganz und gar abgesehen
von einem Glauben an persönliche Unsterblichkeit und jenseitige
Vergeltung, und doch wird man mit den Andeutungen des Herrn
Verf. nicht einverstanden sein. Das Selbstvertrauen und die that-
kräftige Menschenliebe soll einen energischen Antrieb erhalten durch
die Gewissheit, dass wir bei unserm Handeln »auf keine übernatür-
liche Hülfe rechnen können, dass Unglückliche keinen Ersatz durch
freilich nicht mechanisch ausrechnen.« Was der Herr Verf. von
dieser Minorität sagt, gilt auch von andern Dingen der Moral und
des Rechtes. Hier hört die Anwendung der Mechanik auf, weil sich
die Dreiheit oder innere Selbstbestimmungsfähigkeit des einzelnen
menschlichen Geistes nicht unter mathematische Axiome und For-
meln bringen lässt.
Es folgt die »Unterscheidung des Guten vom Bösen, die Unter-
suchung über Gewissen und sittliche Freiheit.« Natürlich kann von
einer Durchführung des mechanischen Princips auf alle Fragen des
Lebens keine Rede sein. Es giebt, weil der Mechanismus, wie der
Herr Verf. nachzuweisen sucht, in dieser Welt herrscht und in allen
Erscheinungen der Natur und des Geistes nachgewiesen werden soll,
keine andere Welt, als diese. Von einer transcendentalen, jensei-
tigen Welt, einer Welt der Geister nach dem leiblichen Tode, will
der Herr Verf. nichts wissen. Er tritt darum gegen alles, was er
»übernatürlich« nennt, auf, gegen Gott, Unsterblichkeit und auch
gegen die sittliche Freiheit. Wenn er sich daher auch entschieden
gegen den Materialismus erklärt und ihm den Naturalismus,
wie er seine Lehre nennt, oder den Atheismus entgegenstellt,
so stimmt er doch in den negativen Resultaten mit den Materia-
listen überein. Die Unterschiede dieses Naturalismus oder
Atheismus, wie er auch seine Lehre nennt, vom Materialismus
werden wir im Laufe der Darstellung entwickeln. Die moralische
Seite dieser Negationen wird S. 30 also angedeutet: »Dass wir
bei unserem Handeln auf keine übernatürliche Hülfe rechnen können,
dass Unglückliche keinen Ersatz durch ein künftiges Leben zu er-
warten haben: sind energische Antriebe theils zum Selbstvertrauen,
theils zur thatkräftigen Menschenliebe; der Wegfall des übernatür-
lichen Himmels ist der kräftigste Sporn, ihn hier auf Erden zu
verwirklichen. Wir wünschten wahrlich, alle Vorwürfe mit so ruhi-
gem Gewissen zurückweisen zu können, als den immer und immer
ohne irgend welche tiefere Begründung wiederholten Vorwurf, dass
unsere naturalistische Ueberzeugung den Principien der Moral und
des Rechtes widerspreche, was dann durch die Behauptung ge-
mildert werden soll, die Naturalisten seien persönlich besser, als
die Consequenzen ihrer Lehre! Sicher ist das Umgekehrte der
Fall.«
Gewiss wird Niemand behaupten wollen, dass mit dem Natura-
lismus Moral und Recht nicht vereinbar seien, dass diese jenem
widersprechen. Ja gewiss ist die reinste Sittlichkeit, das Gute
des Guten wegen zu lieben und zu üben, ganz und gar abgesehen
von einem Glauben an persönliche Unsterblichkeit und jenseitige
Vergeltung, und doch wird man mit den Andeutungen des Herrn
Verf. nicht einverstanden sein. Das Selbstvertrauen und die that-
kräftige Menschenliebe soll einen energischen Antrieb erhalten durch
die Gewissheit, dass wir bei unserm Handeln »auf keine übernatür-
liche Hülfe rechnen können, dass Unglückliche keinen Ersatz durch