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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Breuer, Robert: Schönheit und Zweckmässigkeit: Eine Skizzierung des Problems
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0172

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t56

tNNEN-DEKORATION

RICHARD Mi;LLER — DRESDEN.

Herrenzimmer. Ausgeführt von den Werkstätten für deutschen
Hausrat, Iheophil Müller—Dresden. Kirschbaum, matt poliert.

variierende Ornament Naturformen vorwegnimmt, die, wenn
sie uns unerwartet vor die Augen kommen, geradezu ver-
blüffend wirken. Wie — rufen wir, wenn das Plankton
unter dem Mikroskop liegt — wie, haben wir diese rhyth-
mischen Polygone nicht für die schönsten unserer ornamen-
talen Erfindungen gehalten, und hier schwimmen sie unge-
zählt im Meerwasser! Für dies Phänomen gibt es nur eine
Erklärung: Natur und Geist sind eines! Natur und Menschen-
geist schaffen unabhängig von einander die einige Schön-
heit. Da aber allem Naturschaffen die Zweckmäßigkeit zu
Grunde liegt, so kann auch die Kunstschönheit ohne einge-
borene Zweckmäßigkeit nicht gedacht werden. „Die Sym-
metrie ist uns angenehm, weil wir selbst symmetrisch gebaut
sind; der Rhythmus berührt uns wohltätig, weil alles in
uns, vom klopfenden Herzen bis zum eilenden Schritt, rhyth-
misch ist. Der große, einzige Weltenbautrieb hat auch
uns nach seinem Richtmaß gebaut; darum ist uns das Ge-
seß, wo wir ein Zipfelchen davon sehen, verwandt, das
heißt: schön. Es tanzt die ganze Schöpfung um uns, mit
uns im gleichen Takte" (Karl Schettler).

*

Das Schöne wird Zweckmäßigkeit, und das Zweckmäßige
wird Schönheit. — Die Geburtsstunde der Kunst hatte ge-
schlagen, als der Mensch der Vorzeit darauf verfiel, sich
zu schmücken. Er tat es, um im Kampfe furchtbarer, in
der Liebe begehrenswerter zu sein. Der Geschmückte

wollte sich aus der Masse der übrigen hervorheben; der
Selbsterhaltungstrieb zwang das Hirn zu immer neuen Er-
findungen. Der Mensch begehrte größer und stärker zu
erscheinen, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperteile
zu lenken; der Einfluß des Individuums war erkannt und
sollte bis zum äußersten gesteigert werden. So durchaus
zweckmäßig begann die menschliche Kunstübung. — Aus
dem Schmuck der Primitiven entwickelte sich die Kleidung.
Die Zweckmäßigkeit wurde eine wesentlich andere. Die
schmückende Funktion der Kleidung hat nur sekundäre Be-
deutung. Zunächst wird gefragt: ob warm, ob schicklich,
ob praktisch. Schließlich kommt aber auch der Ursprung
aller Kleidung zu seinem Recht: die Schönheit. Und auch
diese Schönheit ist zweckmäßig, wie sie es am Anfang war.
Die Krone des Königs, die Bärenmüße der Garden, der
Zylinderhut, die Schleppe, die Epauletten — sie wollen dem
Träger eine besondere soziale Würde geben. Der farbige
Besaß der Frauen- und Militärkleidung deutet auf die darunter
versteckte Körperform; grellfarbige Bluseneinsäße erinnern
an das verdeckt in Hebung und Senkung pulsierende Leben.
Das Perlenhalsband will den Hals, als einen'tektonisch beson-
ders wichtigen Körperteil, der Aufmerksamkeit empfehlen; der
Schulterkragen wird zum Präsentierbrett des Kopfes.')

*) Hierüber lese man: Ernst Große, Die Anfänge der Künste;
und: Selenca, Der Schmuck des Menschen.
 
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