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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Breuer, Robert: Schönheit und Zweckmässigkeit: Eine Skizzierung des Problems
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0173

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INNEN-DEKORATION

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RICHARD MÜLLER—DRESDEN. Herrenzimmer. Möbelbezug von der Meldorfer Museums-

weberei. Teppich ausgeführt von Heß—Dresden. Beleuch-
tungs-Körper ausgeführt von K. M. Seifert & Co. — Dresden.

Der Primitive versah seine Waffen, sein Werkzeug,
seine Häute mit einer Eigentümermarke. Er schnitte oder
brannte ein Zeichen hinein. Das ist genetisch der Anfang
des Wappens und der Fabrikmarke, aber auch des Orna-
ments. Der Spieltrieb lockte, das Messer wollte mehr
leisten, als unbedingt notwendig war; einer wollte den
andern überbieten. Aus der Eidechse wurde ein Eidechsen-
band, aus dem Keil eine Zusammenstellung von Keilen —
kurz: das Ornament. Bald war der ursprüngliche profane
Zweck des Schnißwerkes vergessen; es war nicht mehr die
Eigentümermarke eines einzelnen, es wurde eine allgemein
gebrauchte Zierform. — Die gleiche Wandlung haben viel-
fach Buchstaben durchgemacht. Auf christlichen Meß-
gewändern finden sich zahlreiche Koransprüche. Die Schrift-
zeichen der orientalischen Stoffe gefielen den europäischen
Webern; diese verstanden die Schnörkel zwar nicht, aber
sie fanden sie schön. Aus heiligen Worten wurden Orna-
mente. Der Gedanke liegt nicht fern, daß sich bereits in
der reinen Zweckform des Buchstabens rhythmische Schön-
heit barg, ja, daß dieser Rhythmus die eigentliche Zweck-
mäßigkeit des Buchstabens ausmachte: er lockte das Auge.
Die moderne Reform in der Typographie hat
diese Identität vonSchönheit u n d Z we ck m äß ig-
keit begriffen.

* *
*

Der Zweck des primitiven Schmuckes bleibt auch für

jedes moderne Kunstwerk bestehen. Auch jedes moderne
Kunstwerk will Lebenswerte erhöhen, es will die Sinne
schärfen und die Nerven stählen. Auch das moderne
Kunstwerk ist eine Waffe, durch die der Mensch sich über
sich selbst und seine Umgebung heraushebt. Der Vorgang
ist psychologischer Art; zwei Individualitäten vereinigen sich.
Das ist mein Schrank, sage ich vor einem Werke van de
Veldes, ich begreife diesen Schrank, ich erlebe ihn. Damit
trenne ich mich mit Entschiedenheit von meiner Umwelt und
steige Hand in Hand mit van de Velde über das Alltägliche
hinaus. Solches Genießen mehrt des Menschen Glücksgefühl;
die Elastizität einer Kurve, die Straffheit eines Trägers strömt
in die Seele des Beschauers. Da schwindet jede Müdigkeit,
und man geht von der Schönheit wie aus dem Stahlbad.

Goethe sagte einmal zu Eckermann: „Eine Umgebung
von bequemen, geschmackvollen Möbeln hebt mein Denken
auf und verseht mich in einen behaglichen, passiven Zustand."
Das Wesentliche dieses Goethewortes ist: daß der Innen-
raum und seine Möbel einen bestimmenden Einfluß auf unsere
seelische Haltung auszuüben vermögen. Nun sind wir weiter
gekommen; wir verlangen nach der Schönheit nicht nur im
Salon, auch im Arbeitszimmer. Aber wir werden die reicher
artikulierte Formensprache als Schönheit nur anerkennen,
wenn sie den wechselnden Bedürfnissen unserer Lebens-
führung geschmackmäßig dient — wenn sie der klarste
Ausdruck unseres Seins und Wollens ist.
 
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