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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Michel, Willhelm: Etwas über Bilder-Rahmen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0184

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INN EN-DEKORATION

natürlich) entgegensetzt. Die Begegnung der Linien in
der Landschaft oder im Gemälde mit den starren
Geraden des Rahmens hat einen dramatischen Inhalt.
Es ist ein Konflikt, der sich da ergibt, eine Kräfte-
Entfaltung, die rein als solche wohltuend auf das Auge
wirkt. Der Rahmen ist für die Linien des Bildes eine
Hemmung. Er ist ein schönes Beispiel für die gewaltige
Bedeutung der Hemmungen überhaupt, die in Leben,
Kunst und Denken eine so große und erfreuliche Rolle
spielen, daß man sich die geistreiche Feder eines
Emerson wünschen möchte, um diese Wirkung darzu-
stellen. Wohl dem Menschen, wohl dem Dinge, wohl
allem Leben, dem niemals die geeigneten Gegensätze,
die fruchtbaren Widerstände fehlen! —

Als Funktion des Rahmens haben wir also er-
kannt : die klarere Betonung der kompositioneilen und
koloristischen Organisation. Und als Grund dieser
Wirkung haben wir festgestellt die Hemmung, den
Widerstand, welchen der Rahmen den Kräften des
Bildes entgegensetzt. Die meisten Ästhetiker, die sich
mit der Frage des Rahmens beschäftigt haben, sind zu
der Ansicht gelangt, daß der Rahmen nur eine neutrale
Zone zwischen dem Gemälde und der Umwelt herzu-
stellen hat, daß er damit ausspricht, daß das Kunst-
werk kein Stück Wand ist, sondern ein Ding von völlig
anders gearteter Struktur und Bedeutung. Es gibt ein
schönes Sonett von Charles Baudelaire, worin diese
Ansicht künstlerisch verwertet erscheint: der Rahmen,
heißt es da, übt auch bei einem Gemälde von Meister-
hand eine starke, geheimnisvolle Wirkung aus, »en l'isolant

de rimmense nature« (indem er es abschließt gegen
die unermeßliche Natur). Es ist klar, daß diese Auf-
fassung in einem gewissen Gegensatze zu der oben
vorgetragenen steht. Denn sie weiß nichts von der
großen Aktivität des Rahmengefüges, sie teilt ihm nur
eine passive, eine negative Rolle zu. Und mir scheint,
sie wird schon durch die einfache Tatsache widerlegt,
daß man ein Bild sehr wohl in eine Wandvertäfelung
einlassen kann, ohne daß es eines besonderen Rahmens
bedürfte. In diesem Falle gibt es gar keine neutrale
Zone zwischen Bild und Wandfläche, und doch wirkt
das Gemälde nicht schwächer als ein anderes, das
einen Rahmen im eigentlichen Sinne des Wortes hat.
Wohl aber ist mit der Einfügung des Bildes in die
Vertäfelung jene hemmende Begrenzung gegeben, in
der wir den Grund zu der ästhetischen Wirkung des
Rahmens erkannt haben.

Daß der Rahmen mehr ist als eine bloß neutrale
Zone, mehr als ein Fenster, durch das man in das
Bild hineinsieht, geht auch daraus hervor, daß die
Form und die Farbe des Rahmens keineswegs gleich-
gültig sind. Beides muß sich nach den Qualitäten des
Bildes richten. Wenn es Rahmen gibt, die wie eine
plötzliche Erhellung und Bestrahlung des Bildes wirken,
so gibt es auch solche, die einen aschfarbenen Schleier
darüber werfen, und solche, die das Bild geradezu
totschlagen. Die Rahmenfrage kann für das Bild unter
Umständen eine Lebensfrage werden.

Von Form und Farbe des Rahmens soll in einem
späteren Aufsatze die Rede sein. — w. michkl.
 
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