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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Schulze, Otto: Zur Lage des Kunst-Handwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0260

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INNEN-DEKORATION

PROFESSOR BRUNO PAUL—BERLIN.

Ein Vorraum.

Ausführung: Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk A.-G.

schädige Handwerk und Industrie. Die Regierungen
erhalten Petitionen und Bittschriften aus angeblich be-
sonders hart betroffenen Industriebezirken. Bald soll
man den Drechslern und Holzschnitzern, bald den
Posamentierern, bald Webereien oder Tapetenindustrien
helfen. Ja, woher sollen die Regierungen dafür die
Mittel nehmen, welche neuen Wege soll sie weisen?
Haben wirklich die Neuerer eine solche Revolution
heraufbeschworen, daß diese eine Umwertung aller Werte
mit Verlustkonto für die Betroffenen unvermeidlich mache!
Dem ist doch nicht so. Wer nicht zurückbleiben will,
der muß eben mitgehen. Der Staat kann doch nicht
Gesetze erlassen, daß wir in unseren Wohnungen je
nach Höhe der Anschaffungskosten für 100—200 Mk.
Posamenten, für ebensoviel Schnitzereien oder Vergolder-
arbeit, oder für 50 Mk. Drechslerarbeit nachzuweisen
hätten. Zur Zeit der Rang- und Kleiderordnungen wäre
ein solcher Eingriff des Staates möglich gewesen; hat
doch selbst der »alte Fritz« es verstanden, seine jüdischen
Untertanen zu Abnehmern der Erzeugnisse seiner Por-
zellan-Manufaktur zu machen!

Gewiß, für manche Industrieen und Gewerbe schafft
die veränderte Zeitlage harte Übergänge oder gar Nieder-
lagen. Dafür ist anderswo ein Aufstieg, ein Ausgleich.
Wir sollten nie andere dafür verantwortlich machen,
wenn es uns weniger gut geht; meistens liegt die Schuld
daran bei uns. Wir sollten auch nicht immer gleich
nach der Polizei schreien, wenn wirklich mal ein Steinchen
in unsern Garten fliegt. Ist dieser hineingeworfene Stein
unter Umständen nicht ein Mahner für die übrigen Steine,
die vorher schon darin lagen. Die Gesamtlage
unseres wirtschaftlichen Lebens wird, darin stimmen alle
Berichte der maßgebenden Stellen überein, als eine
überaus günstige gepriesen. Es kann sich also

demnach bei einzelnen Abweichungen nur um kleine
Verschiebungen handeln; wenn Quellen hier versiegen,
brechen sie an anderen Orten wieder hervor.

Als Bismarck vor fast vierzig Jahren die Gewerbe-
freiheit schuf, war der Kampf um die damals gewiß
hart gefährdeten Sonderinteressen nicht schärfer als heute,
da der bis in die kleinsten Einzelheiten hinein wohl-
organisierte Kampf des Handwerks gegen Industrie und
Kapital von einem neuerstandenen, zeitgemäßen Innungs-
und Genossenschaftswesen, von der Institution der Hand-
werkskammern gedeckt und gefördert wird. Dieser
Kampf wird Siege zeitigen, wenn die Fragen materiellen
Inhalts die des moralischen Wertes in der Bildung und
dem Können nicht zurückstellen. Wir müssen dem
Handwerk Besteller schaffen, Interessenten für seinen
inneren Wert — sonst kämpft die Selbsthilfe einen
Kampf mit Mühlflügeln und Luftspiegelungen. Hier
heißt es, an das Leben und seine Forderungen heran,
sich mit den Tatsachen abfinden helfen.

Mir fällt hierbei die große Not der Historien-
malerei ein. Hat man sie nicht sanft entschlafen lassen.
Haben die verschiedenen Hetzen, die um Werner,
Liebermann oder Muther gingen, die Malerei an
sich gefährdet oder nur einen Schößling, dem die Luft
zu frisch und die Sonne zu warm war, kurzer Hand
abgeschnitten! Das Gesetz des Beharrungsvermögens
gilt glücklicherweise so gut für die Bewegung wie für
die Ruhe resp. Trägheit. Ich kann wohl einen Eisen-
bahnzug zum Entgleisen bringen, niemals aber damit
das Prinzip der in Rotationsfortbewegung übersetzenden
Dampfkraft oder Elektrizität.

Keiner könnte wärmer als ich wünschen, daß die
Holzschnitzerei, die Drechslerei, die Intarsiaarbeit, die
Tapete und das textile Erzeugnis in Geweben und
 
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