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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Scheffers, Otto: Etwas über das Grübeln
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0297

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INNEN-DEKORATION

283

Auf phantasievolle
l. Menschen übt das
Grübeln einen so ge-
heimnisvollen Reiz wie
das Wandern in unbe-
kannten Gegenden aus,
wo bei jeder Weg-
krümmung neue Über-
raschungen auftauchen
können. Es führt oft
auf freie Höhen mit
weitem Rundblick, läßt
uns oft Dinge schauen,
die wir vorher noch
niemals gesehen; eben
so oft aber führt es
uns auch in sumpfige
Gegenden, aus denen
wir uns nur mit Mühe
wieder herausfinden,
oder auf Holzwege und
in das tiefste Dunkel
des Waldes. - In der
Kunst hat das Grü-
beln die herrlichsten
Früchte, aber auch die
meisten jener soge-
nannten Absurditäten
gezeitigt, die den Laien
abstoßen und nicht sel-
ten veranlassen, sich
mit einer dreifachen
Haut gegen den An-
sturm der künstle-
rischen Kultur zu pan-
zern. Im folgenden ein
paar Beispiele für Miß-
griffe, welche durch Grübeln hervorgerufen wurden:

In dem Vereins - Zimmer einer Gesellschaft junger
Baukünstler erblickte ich einst einen Schrank mit wunder-
lichen Türbeschlägen, deren Formen ich mir durchaus nicht
erklären konnte. Auf meine Frage, wie man darauf ver-
fallen sei, wurde mir die Auskunft, da die Tür auf die obere
Angel einen Zug, auf die untere aber einen Druck ausübe,
so müsse folgerichtig der obere Beschlag auch anders
als der untere ausgestaltet werden und zwar so, dag der
obere das Heranziehen, der untere das Abstoßen zum Aus-
druck bringe.

An einer Kirche, die mir sonst wohl gefiel, erschien
mir die monumentale Wirkung des Turmes durch vier
Scheingiebel sehr beeinträchtigt. Jedesmal, wenn ich sie
sah, ärgerten sie mich, ich fand keinen Grund für die Be-
rechtigung ihres Daseins, die Richtung ihrer Linien konnte
ich nicht in Einklang mit der Turmspitje bringen, die Giebel
verhinderten eine zweckmäßige Verteilung der Fenster-
öffnungen und endlich unterbrachen sie die Ruhe der
Turmflächen, welche einen schönen Gegensatj zu den
andern, reicher verzierten Teilen des Gebäudes abgegeben
hätten. Ein Zufall offenbarte mir später den Gedanken,
welcher den Künstler zur Anbringung der Giebel verleitet
hatte. Seine Absicht war gewesen, die Grundform des

LUDWIG PAFFENDORF—COLN.

Speise-Zimmer im Hause Cäsar Meyer—Bonn.

Hanptbaues, der vier Giebel aufweist, durch eine Wieder-
holung im Kleinen hoch oben am Turme ausklingen zu
lassen, wie der Dichter die Gesamtstimmung eines Ge-
dichtes noch einmal im Refrain zusammenfaßt.

In den beiden, hier angeführten Fällen liegt nach
meiner Meinung der künstlerische Gedanke zu tief, als daß
er noch erkannt werden und wirken könnte, in beiden
Fällen hat das Grübeln den Künstler zum Schaffen von
Formen verleitet, die die Ruhe der Gesamtwirkung stören.

Viele Bildhauer glauben heute geistreich zu sein,
wenn sie sehr kleine, oft kaum erkennbar kleine, aus dem
Zusammenhang herausgegriffene Teile von Pflanzen ohne
weiteres auf struktive Architekturglieder übertragen. Wären
diese Künstler mit den Gesehen der Statik etwas ver-
trauter, so wüßten sie, daß eine struktive Form, die ihren
Zweck im Kleinen vollkommen erfüllt, das bei tausend-
facher Vergrößerung meist nicht mehr tut, weil alsdann
allerlei Materialeigenschaften, die im Kleinen ganz belanglos
sind, wie z. B. die Schwere, eine große Bedeutung er-
langen. So kann beispielsweise das kleine Modell einer
Eisenbrücke verhältnismäßig viel größere Räume über-
spannen als die in Wirklichkeit ausgeführte Brücke, und
aus dem eben angeführten Grunde können auf Erden Tiere
von einer nur begrenzten Größe leben. Je größer sie
 
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