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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0027

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2. Umgebung und Gestalt der Gräber

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die größten unter ihnen sind einfache Gruben, wenn sie auch die Abmessungen
geräumiger Zimmer haben. Nachbestattungen waren durch das Fehlen jeder Zu-
gangstüre erschwert, Totenkult im Innern der Gruft ausgeschlossen; vielleicht sind
die Stelen eben aus dem Bedürfnis erwachsen, die genaue Stelle zu bezeichnen,
die jeder Tote, in seiner unterirdischen Grube unsichtbar, einnahm. Das deutet,
ebenso wie die reiche Ausstattung der Leichen, auf ausgebildeten Totenkult, im
Gegensatz zum Brauche der vorhergehenden mittelhelladischen Periode.

Das Schachtgrab bietet architektonisch keine Möglichkeiten der Entwicklung.
So ist ihm denn auch nur ein kurzes Dasein beschieden gewesen. Schon früh
im XV. Jahrhundert, wenn nicht gar gegen Ende des XVI., ist man, nicht nur in
Mykenai, zu der neuen, künstlerisch so fruchtbaren Form des Kuppelgrabes über-
gegangen, das zu den wunderbarsten Schöpfungen der Baukunst auf griechischem
Boden zählt. Wenn man auch mit Wace diese bedeutungsvolle Wandlung dem Auf-
treten einer neuen Dynastie in Mykenai zuschreiben mag, ist doch keinesfalls ein
Wechsel der Bevölkerung anzunehmen. Und so war es nur natürlich, daß auch jetzt
noch ehrfürchtige Scheu die alten Fürstengrüfte umgab. Die Fortdauer eines Kultes
an dieser Stätte beweist vor allem eine von Keramopullos (Aq%. 'Eqnj/i. 1918, 52 ff.)
entdeckte Höhlung in dem bei Schliemanns Grabungen zum Teil eingestürzten
Felsen zwischen Grab I und IV, die Scherben von Mittelhelladischem bis zu
Jungmykenischem barg. Auch der von Schliemann freigelegte und leider ver-
schwundene Altar (Abb. 1) hängt offenbar mit diesem Kult zusammen, dessen
Mittelpunkt nach Keramopullos die kleine Felskuppe zwischen Grab IV und V
gebildet haben mag. Jener Altar war ein unregelmäßiger zylindrischer Bau aus
Feldsteinen (H. 4, Dm. von N nach S 7, von 0 nach W 5 V4 engl. Fuß), durch dessen
Höhlung Trankspenden zu den Toten in der Tiefe hinabfließen konnten. Im
übrigen scheint es bis zum Ende des XV. Jahrhunderts keine weitere Ausge-
staltung oder Verschönerung des alten Friedhofs gegeben zu haben. Auch neue
Gräber wurden kaum angelegt. Das von Wace entdeckte, vielleicht schon der
ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts angehörende kleine „Schachtgrab" bleibt ver-
einzelt. Der Goldschatz, den Schliemann südlich vom Gräberrund fand, scheint
mir eher dem — freilich jüngeren — Schatze von Tiryns (Arch. Anz. 1916,143 ff.)
vergleichbar, obwohl Wace auch hier ein zerstörtes Schachtgrab erkennen möchte.
So viel wir heute noch feststellen können, hat auf diesem ganzen Gebiete die Bau-
tätigkeit im XV. Jahrhundert fast völlig geruht.

Die Wende des neuen Jahrhunderts bringt einen gewaltigen Umschwung.
Politische Umstände haben dabei gewiß schwerwiegend mitgewirkt. Um diese Zeit
wird die Macht Kretas endgültig gebrochen, der Palast von Knossos zerstört, um nie
wieder in altem Glänze zu erstehen — ganz anders als bei seiner ersten Zerstörung
im XVI. Jahrhundert. Es ist nicht zu kühn, in dem König von Mykenai den Führer
des Kriegszuges oder der Kriegszüge zu erkennen, denen das minoische Reich zum
Opfer fiel. Und dieser Sieg über die blühendsten Städte der aegaeischen Welt be-

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