Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0028

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
20

I. Die

Schachtgräber und der Plattenring

deutete für Mykenai einen ungeheuren Zuwachs an Macht und Reichtum. Ein
solcher Augenblick ist stolzen Bauplänen besonders günstig. Indessen muh man
doch, darüber hinaus, sich Persönlichkeit und Willen eines ganz großen Bauherrn
vorstellen, wenn man jetzt aus den englischen Ausgrabungen Klarheit über die Neu-
gestaltung der Burg von Mykenai gewinnt. Denn es scheint mir erwiesen, daß so-
wohl der Palast auf dem Gipfel des Burgfelsens wie der gewaltige Mauerring mit
dem Löwentor einheitliche Schöpfungen etwa der Mitte des XIV. Jahrhunderts sind.
Vor allem die genauen Untersuchungen in der Gegend des Löwentores und an
anderen Stellen der Burgmauer reden eine eindeutige Sprache. Und unsere Be-
wunderung für dieses Werk wächst, wenn wir bedenken, daß es allem Anschein
nach eine Neuschöpfung war. Denn das entsprechende Tor des Festungsringes von
Tiryns geht offenbar auf das Vorbild von Mykenai zurück; vgl. Kurt Müllers letzte
Forschungen, Tiryns III, Kap. 15. In zwiefacher Hinsicht aber hat der König, wel-
cher damals in Mykenai herrschte, Großes geschaffen, das ohne Nachfolge bleiben
sollte: im Relief des Löwentores, einem der eindrucksvollsten heraldischen Kunst-
werke aller Zeiten, und in der Umgestaltung des alten Königsfriedhofs durch
Gräberrund und Plattenring.

Die Burgmauer hat von vornherein auf die alten Fürstengrüfte Rücksicht ge-
nommen. Die günstigste Befestigungslinie hätte jene entweder durchschnitten oder
schutzlos außerhalb der Burg belassen. Beides wollte man vermeiden und führte
daher die Mauer in weitem Bogen um die Schachtgräber herum, so weit, daß wir
schließen müssen: schon damals war eine großartige Ausgestaltung der Nekropole
vorgesehen. Von einer späteren Erweiterung des Mauerringes, wie ich sie früher
annahm, kann keine Rede mehr sein. Hauptmann Steffen hat schon 1884 im Text
zu seinen Karten von Mykenai, der viel zu wenig benützt und gewürdigt wird,
die Einheitlichkeit der ganzen Befestigung richtig betont.

Im westlichen, tieferen Teile des Abhangs wird nun das Gebiet der Schacht-
gräber von einer breiten, außen geböschten, innen fast senkrechten Stützmauer
umschlossen, die an einigen Stellen durch besondere Ausbauten noch verstärkt, in
unregelmäßiger Bogenlinie verläuft. Was ich früher für einen älteren Mauerrest
hielt (Abb. 2,63), ist auch bloß eine solche Verstärkung. Und gerade hier, sowie an
mehreren anderen Stellen, haben die neuen englischen Grabungen durch sorg-
fältigste Untersuchung der Schichten einwandfrei erwiesen, daß Stützmauer und
Burgmauer zeitlich zusammengehören und etwa in die erste Hälfte des XIV. Jahr-
hunderts fallen.

Wo der Fels höher anstand, war naturgemäß die Stützmauer unnötig. So nimmt
sie denn auch weniger als die Hälfte des Kreises ein, der die alte Nekropole um-
schließen sollte. Ihr Zweck ist lediglich, den doppelten Plattenring zu tragen, der
in seiner östlichen Hälfte auf dem planierten Felsen steht. Bei dieser Planierung
ist älterer Schutt so weit abgetragen worden, daß sich nur mehr je eine dünne
mittel- und frühhelladische Schicht nachweisen lassen. Diese sind durch die breite
 
Annotationen