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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0048

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I. Die Schachtgräber und der Plattenring

annehmen müssen. Mehrere Ausstattungen von Schmucksachen kommen neben-
einander ja auch in den reichsten etruskischen Frauengräbern vor.

So spricht alles dafür, daß die Leichen in den Schachtgräbern einfach auf der
Kieselschicht des Bodens lagen. Das Mindestmaß an Beigaben, wie es uns die
Gräber I, II, VI vorführen, umfaßt immerhin recht vollständigen Schmuck für die
Frauen, zahlreiche Waffen und Geräte für die Männer, ein paar Gefäße aus Edel-
metall und schön bemalte Tonvasen. Wir kennen kein mittelhelladisches, bisher
auch kein mittelminoisches Grab, das annähernd so reich ausgestattet wäre. Und
mit den prunkvollen Funden von III, IV, V kann sich auf griechischem Boden
überhaupt aus keiner Zeit irgend eine Gruft messen. Man muß bis zu den Rändern
hellenischen Einflusses, nach Südrußland, Makedonien1), Etrurien schweifen, um
Ähnliches zu finden. Auch darin nehmen unsere Grüfte — und die reichen älteren
Kuppelgräber — eine Sonderstellung ein.2)

*) B. Filow, Die archaische Nekropole von Trebenischte am Ochrida-See, 1927. Diese Grabfunde sind besonders wich-
tig, weil sie auch goldene Masken enthalten (Taf. I), wohl ein Fortleben mykenischer Tradition in diesem entlegenen Gebiet.

-) Das Vorstehende war schon längst gesetzt, als Sir Arthur Evans' letztes, „dem Archaeologischen Institut des
Deutschen Reiches bei seiner Hundertjahrfeier dankbar und achtungsvoll gewidmetes" Werk erschien: The Shaft Graves
and Bee-hive Tombs of Mycenae and their Interrelation. Daß jeder Beitrag aus der Feder des großen Forschers vielfache
Anregung und Belehrung bietet, versteht sich von selbst. Besonders willkommen ist es mir, daß er, entgegen meiner
früher gehegten Meinung, die Ableitung der Schachtgräber von den mittelhelladischen Hockergräbern entschieden zurück-
weist und das Neuartige der Schachtgräber betont (S. 19). Auch über den Zusammenhang zwischen Mykenai und Kreta
in tönernen und metallenen Gefäßen, Typen und Verzierung von Schmucksachen und Waffen habe ich aus Evans' geist-
vollen Erörterungen (S. 23 ff.) viel gelernt und manches umgelernt. Darauf wird im III. Teil dieses Buches näher ein-
zugehen sein. Dagegen hat mich die Hauptthese des neuen Werkes nicht überzeugt. Evans nimmt eine alte Vermutung
von Percy Gardner (Quarterly Review 1877, mir nicht zugänglich; New Chapters in Greek History S. 76ff., nach dem Zitat
Evans S. 2) wieder auf und sucht sie mit neuen Argumenten zu begründen : die mykenischen Fürsten des XVII/XVI. Jahr-
hunderts seien zunächst in den großen Kuppelgräbern beigesetzt gewesen und dann, bei einer drohenden Gefahr, mit ihren
Schätzen in die dazu neu geschaffenen Schachtgräber überführt worden. Dabei muß Evans zunächst Grab VI als offenbar
bereits zuvor bestehend ausnehmen, was an sich schon seine Auffassung wenig glaublich macht. Er muß der Annahme
von Sta'is, daß die Leichen in hölzernen Särgen geborgen gewesen seien, folgen und besonderes Gewicht auf die auffallend
eng gedrängte Lage der Schächte und der Beigaben in ihnen legen (S. 1 ff., 18); in Wahrheit war für jene die geringe Aus-
dehnung der Felslehne aus weichem Konglomerat maßgebend, während die Beigaben in den geräumigen Gelassen von
Grab I, IV, V bequem Platz fanden. Höchstens bei III könnten die bescheideneren Abmessungen dem Reichtum der
Beigaben weniger zu entsprechen scheinen; aber hier handelt es sich größtenteils um Frauenschmuck, der an den Leichen
oder ihrer Umhüllung selbst angebracht war.

Abgesehen von Grab I (s. oben S. 36) scheint mir nichts für gleichzeitige Bestattung der Leichen zu sprechen, wie
sie Evans (S. 17ff.) fordert; die Beisetzung in gleichmäßigen Abständen von 3 Fuß spricht doch kaum dafür, das war
damals offenbar Sitte. Daß bei Nachbestattungen Plünderungen unvermeidlich gewesen wären, wird doch durch Grab V,
in dem nur eine Leiche beraubt zu sein scheint, widerlegt. Und wären dann nicht auch bei der Überführung so vieler
Toten aus den weit verstreut liegenden Kuppelgräbern in die neuen Grüfte solche Plünderungen erst recht anzunehmen?
Trotz Evans' bestechender Gegenüberstellung der großartigen leeren Tholoi und der einfachen Gruben voll fürstlicher
Schätze muß ich daran festhalten, daß wir in diesen die ursprünglichen Grüfte des XVI. Jahrhunderts, in jenen die prunk-
volleren, längst ausgeraubten Anlagen einer jüngeren Folge von Fürsten besitzen.

Demnach kann ich dem verehrten Freunde auch nicht glauben, daß die Grabstelen — wiederum mit Ausnahme
der über Grab VI aufgestellten! — einst innerhalb der Kuppelgräber gestanden, später aber verpflanzt worden seien.
In den überaus anregenden Bemerkungen über Technik, Ornamente und Bilder der Stelen (S. 50 ff.) scheint mir weder die
Annahme einstigen bemalten Stucküberzuges — den Evans auch für das Löwentor-Relief und die Elginscheu Fragmente
im Britischen Museum fordert — irgendwie überzeugend, noch die Vermutung, daß sich „kretisch geschulte" Goldschmiede
hier einmal in Steinplastik versucht hätten, noch endlich für das Aufstellen von Grabsteinen in Gräbern die ganz spät
wiederverwendete bemalte Stele von Mykenai (oben S. 31, 1), die nicht sicher deutbaren Bruchstücke aus dem Kuppel-
grabe beim Heraion (Stamatakis, Ath. Mitt. III 1878, 276; Evans S. 63) oder die „Menhire" von Dendra (ebda., nach
A. W. Persson, Kungagraven i Dendra S. 147); aber auch nicht die jüngst in einem Kammergrabe bei Knossos entdeckte,
glatte, unregelmäßige Platte: denn das Grab enthielt Funde aus SM. III über solchen aus MM. III und war zum größeren
Teile eingestürzt. Forsdyke, BSA. XXVIII 248, 254 f. zögert denn auch, hier einen Grabstein zu erkennen, während Evans
S. 61 daran nicht zweifelt. Keinesfalls wird man die mykenischen Grabstelen aus Kreta ableiten dürfen, solange wir nur
dieses eine zweifelhafte Beispiel besitzen.
 
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