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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0237

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6. Gefäße aus Edelmetall und anderen kostbaren Stoffen

229

hin, so daß sie auf der weiten Fläche etwas unsicher zu schweben scheinen. Ganz
roh ist der Henkel auf den Leib eines der Löwen genagelt, obwohl es leicht gewe-
sen wäre, zwischen zwei Tieren für ihn Raum zu lassen. Es ist dieselbe Sorglosig-
keit, die sich in geringerem Maße auch bei 351 zeigt, während auf 122 die Stern-
blüten am unteren Henkelansatz etwas auseinandergerückt sind. Auch daß man die
unteren Nagelenden bei allen diesen Henkeln unverhüllt hervortreten läßt (oben
S. 225), zeugt von schwer verständlicher Gleichgültigkeit, die im Gegensatz zu der
sonstigen technischen Sorgfalt steht: als hätte ein Stümper die ihm von vortreff-
lichen Toreuten gelieferten Einzelstücke roh zusammengenagelt.

Die bisher besprochenen hochfüßigen Becher stimmten durch den einheitlichen
Schwung des Umrisses überein, trotz sonstiger Verschiedenheiten. Ganz anders
390, CXII f., der überhaupt eine Sonderstellung einnimmt. Er besteht nicht aus
Silber, sondern aus einer Elektronlegierung, in der offenbar der Goldzusatz sehr
gering, aber immerhin wirksam genug ist, um an Stelle der unschön rauhen Oxy-
dierung gewöhnlicher Silbergefäße eine wundervolle, glatte, schwarzgraue Patina
zu erzeugen. Ursprünglich war die Oberfläche glänzend weiß oder silbergrau. Die
Form ist kantig, als hätte man einen ungewöhnlich breiten und niedrigen Becher
der Vaphioform mit einem leicht geschwungenen, hochfüßigen wie 427 zu einer
Einheit verschmolzen. Das schwere, massive Gefäß mit dem gesondert gearbeite-
ten, angelöteten Fuße (s. die Beschreibung oben S. 94 und unten S. 312) ist am
oberen Teile in Gold und Niello köstlich eingelegt. Die wagrechten, schmalen
Streifen, der Fries runder Scheiben hoben sich golden auf schwarzem Grunde von
der einst silberglänzenden Wandung ab, ebenso in Gold mit schwarzer Innen-
zeichnung die drei „Altäre". Auch die Nagelköpfe des besonders massiven und
schön geschwungenen Henkels sind von eigenartig reizvoller Gestalt1). Das Ganze
bildet einen in seiner Art unübertroffenen Höhepunkt mykenischer Goldschmiede-
kunst (unten S. 313).

Endlich der ,,N estorbeche r", 412. CIX, auch er in unserem Bestände
ein Unikum, auch er eine Verbindung zweier Typen, eines Vaphiobechers und
eines 351 verwandten Fußes. Aber während bei 390 die Verschmelzung der beiden
Elemente glänzend gelungen ist, wirkt der Nestorbecher fremdartig, barbarisch,
einerseits durch die unbeholfen kantigen Umrisse von Kelch und Fuß, anderseits
durch die sonderbaren, durchbrochenen Bänder, die von den eigentlichen Henkeln
zur Fußplatte führen. Auch die beiden Tauben auf den Henkeln sind oberflächlich
modelliert, steif und unlebendig, dazu roh angenagelt, wie aufgespießte Insekten
in einer Schülersammlung. Der Gegensatz dieses provinziellen Werkes zu den
eben besprochenen Meisterstücken aus demselben Grabe ist überaus merkwürdig.
Die Ähnlichkeit mit dem berühmten Becher des Nestor mußte alsbald nach der

') Vgl. ähnliche Anhänger aus Knossos, Evans III 410 f. Abb. 273. Auch zur Henkelform gibt es minoische
Parallelen: ebda. III 178 Abb. 121 f.

30 Karo, Schachtgräber
 
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