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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0341

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17. Religion und Kult

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einzigen sicheren Idole unserer Gräber1)- Man wird sie apotropäisch auf die Brust
der Leichen gelegt denken, die dadurch in den Schutz der Muttergottheit gestellt
wurden. Übrigens möchte ich eine ähnliche Verwendung auch bei einigen der oben
erwähnten Bleche, besonders bei den Kultfassaden, nicht ausschließen.

Damit ist alles erschöpft, was sich aus dem Inhalt der Schachtgräber für
diese Fragen entnehmen läßt. Wir können aber doch noch weiter kommen. Sowohl
die Grabstelen und der Altar (oben S. 11 Abb. 1), wie vor allem die von Keramo-
pullos entdeckte alte Kulthöhlung (Aq%. 'Eq>. 1918, 52 f.) bezeugen Totenkult über
den Grüften. Und dieser führte später zu der großartigen Ausgestaltung des gan-
zen Platzes zu einem Heroon (oben S. 15 ff. Abb. 2 ff.). Weder die alten Schächte
noch das Heroon des Plattenringes hängen irgendwie mit einem Haustypus zu-
sammen. Dagegen wissen wir jetzt, durch Evans' Entdeckung eines knossischen
Königsgrabes aus der Zeit unserer Grüfte"), daß man auf Kreta damals vornehm-
sten Toten geradezu ein Abbild ihres Palastes schuf. Ein stärkerer Gegensatz läßt
sich nicht denken.

Daraus darf freilich nicht geschlossen werden, daß der Totenkult in der myke-
nischen Kultur einen geringeren Raum eingenommen habe als in der minoischen.
Im Gegenteil. Es ist längst beachtet worden, daß sich von den zahlreichen kleinen
Kulträumen der minoischen Herrenhäuser in den Palästen von Mykenai, Tiryns,
Theben keine Spur findet, während anderseits der Hausaltar im Megaron ebenso
wie dieses selbst auf Kreta fehlt. Hier können wir dank der Ausgrabung von Malia
die völlig einheitliche Entwicklung der Architektur, gerade auch der Kulträume,
vom Ende des III. bis über die Mitte des II. Jahrtausends herab verfolgen. Auf
dem Festlande setzt unsere Kenntnis erst viel später ein, wir wissen nicht, wie ein
mykenisches Herrenhaus des XVI. Jahrhunderts aussah. Aber die erhaltenen jün-
geren Paläste gestatten doch einen Rückschluß: wenn zur Zeit stärksten minoischen
Einflusses (seit etwa 1500 v. Chr.), als, wie oben bemerkt, kretische und festländi-
sche religiöse Darstellungen völlig übereinstimmten, in Mykenai und Tiryns
die charakteristischen minoischen Kulträume ebenso fehlten wie die Höhlen-
und Bergheiligtümer, so gilt dies a fortiori für die Frühzeit, als sich das Festland
der fremden Kultur noch nicht so ganz unterworfen hatte. Wenn es also auch da-
mals keine besonderen Kulträume gab, gewinnt der Grabkult eine um so höhere
Bedeutung. Er war offenbar in der den Schachtgräbern unmittelbar vorangehen-
den Periode sehr gering, denn die mittelhelladischen Gräber der Argolis pflegen
leer oder fast leer zu sein3). Unter den von Wace in Mykenai, von Biegen beim

*) Die beiden tönernen Idole 204/5, CL sind jungmykenisch und stammen nicht aus Grab I, sondern aus dem
hineingefallenen Schutt.

2) Evans, III. London News 26. 9. 1931, 486; Lehmann-Haupt, Klio XXV 1932, 169 ff.; H. Payne, JHS. LI 1931,
205 ff. Abb. 14 ff.; Arch. Anz. 1931, 293 ff. 1932, 174. Die Veröffentlichung von Evans im IV. Bande des Palace of Minos
steht bevor.

3) Weiter nördlich war dies anders: sowohl bei Korinth wie in Eleusis kennen wir reichere mittelhelladische
Gräber, vor allem aber in Boeotien. Vgl. Wace-BIegen, Middle Helladic Tombs, Symbolae Osloenses IX 1930, 28 ff.

43 Karo, Schachtgtäber
 
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