Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

DOI Artikel:
Edschmid, Kasimir: Der Bildhauer Antes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0012

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DER BILDHAUER ANTES

Zwischen Asciiaffenburg, Mainz und Worms
liegt das Prunkstück Deutschlands. Von den
Nibelungen bis Grünewald, von Y\ olfram bis
Riemenschneider, vom Mainzer bis zum Y\ orm-
ser Dom ergibt sich eine riesenhafte Spannung,
die beute noch den Kern des Deutschtums
durchbebt. Die .Landschaft besitzt einen dau-
ernden Wechsel von Erhabenheit, Heiterkeit,
Größe und Geschichte, eine Durchdringung
edler Romantik mit nationalem Mythos, eine
Mischimg von Natur und Vision von höchstem
Rang. Die Rheinstrecke besitzt hier nicht nur
das Fließende und Majestätische, das die Sonne
Mitteleuropas unvergleichlich hebt, sondern
auch das Ungewisse und Tiefe, das Verschlei-
erte und tragisch Geheimnisvolle, welches die
schmerzlichste und süße Schönheit des deut-
schen Ausdrucks ist.

Man wird nicht umsonst in dieser Landschaft
geboren. Und es bedeutet ohne Zweifel einen
furchtbaren Kampf, mit diesen Strömungen
im Blut in eine Zeit hineinzukommen, die im
Grunde keinen ehrlichen Stil außer dem ma-
schinellen und keinen anständigen Geschmack
außer einem raffiniert eklektischen besitzt. Der
Bildhauer Antes, der seine Jugend am Fuß des
Wormser Doms verbracht hat, zeigt in allen
seinen Gestalten und Gesichten den heroischen
Widerstreit: gleichzeitig die erhabene Aus-
druckskraft seiner heimatlichen Tradition zu
halten und ebenso entschlossen Mann seiner
Zeit zu sein. Es ist ein Kampf zwischen Blut
und Geist, der mit der Zeit immer mehr in
Harmonie zu kommen scheint, obgleich die Lö-
sung (wohl ihm) noch vor ihm liegt.
Der Entwicklungsgang des Bildhauers Antes ist
deshalb für denjenigen, der ihn von Anfang an
kennt, so interessant, weil er ein wenig parzi-
falisch ist. Er ist der Gang eines Menschen, der
aber auch alles, das Leben wie die Form aus
sich selbst heraus meistern und lernen mußte.
Sozial ist es der Aufwärtsmarsch eines jungen
Mannes, der knapp mit Handwerkszeug und
Alphabet ausgerüstet über Deutschlands Stra-
ßen zog, voll strengem Ehrgeiz nach Bildung

____der Weg eines Jünglings, der heute als Mann

in der zweiten Hälfte der Dreißig den Eindruck
eines gebildeten Sportsmannes macht. Künstle-
risch ist es die parallele Bewegung: von zerrisse-
lienTalent-Explosioiien zu klarerstrenger Form.

Mit diesen Sätzen ist aber das ganze Chaos un-
serer Epoche abgesteckt, und zwischen Rodiu
und Lehmbruck, welche diese Zeitspanne wohl
am radikalsten bestimmen, liegen fast alle Mög-
lichkeiten der Plastik. Geht man die Serie von
Arbeiten durch, die Antes in fünfzehn Jahren
geschaffen hat, so sieht man allerdings eine
Menge äußerer Einflüsse, die den noch nicht
fest entschlossenen Form willen des jungen Man-
nes gestreift haben. Das Merkwürdige aber ist,
daß sie niemals den Kern, das seelische Ver-
mögen seiner Gesichte beeinflußt haben. Es
ist immer müßig, jemand zu klassifizieren,
der nicht „fertig" ist. Und es hat nicht viel
Sinn, jemand zu nuancieren, indem man ihn
zwischen bekannte Namen, zwischen Rezepte
und Richtungen setzt. Man kann die Ab-
drücke bestimmter Meister und bestimm-
ter Zeitrichtungen am Werk jedes Künst-
lers ablesen, aber das hat gerade hier nicht
mehr YV ert, als wenn man über eine Reise
nur die Stationen und ihre Namen aussagen
wollte.

Denn, ob Antes die Form seiner Gesichte zu
straff bis ins Dekorativ-Abstrakte anspannt,
oder ob er sie zu barock, wie in der Frühzeit,
aufmodelliert, überall findet sich sein Wesent-
lichstes: das heroisch-süße Lächeln, die goti-
sche Herrlichkeit einer geistigen Erinnerung
an unsere beste Zeit, eine tiefe innere Ergriffen-
heit, die diesen jungen Meister sonderbar und
wichtig macht. Es ist das Lächeln, das von
Chartres herüber nach Bamberg grüßt, das in-
nige Lächeln Mitteleuropas, das Gott sehr nahe,
aber nicht ohne Leiden in seiner Seligkeit zu
sein scheint. Dies Lächeln ist auf der linken
Seite des Rheins leichter und auf der rechten
ist es schwerer. Es ist bei Antes mehr tragisch
als duftig, aber es ist auch bei ihm immer zart
und immer heroisch.

Wer am Fuß des Wormser Doms aulgewachsen
ist, spürt das Dumpfe und Gewaltige des Baus
ebensogut wie das Glänzende und Beschwingte
in der Luft darum. Je freier Antes arbeitet, je
älter er wird, um so mehr wird das Leichte und
Besinnliche seiner Landschaft in das Lächeln
seiner Figuren treten, deren geistige Spannkraft,
nicht wahr, nicht mehr vertieft, sondern nur
nach der Harmonie hin erlöst werden muß.

Kasimir Edschmid

6
 
Annotationen