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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Eckstein, Hans: Daumier
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0232

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Staatliche Museen
zu Berlin

D A U M I E R

Zeit seines Lebens hat Daumier gezeichnet, not-
gedrungen, um Brot und Tubak zu kaufen, nicht
nur dem Drang seines Genius folgend. Einmal
löste er den Kontrakt mit dem Journal — um
seines künstlerischen Selbsts willen. Nach drei
Jahren war er wieder Aktualilälenzeichner. Das
Bankett, mit dem der Charivari seine Rückkehr
feierte, war für Daumier das Totenmahl seines
unabhängigen Künsllertums. Er mußte wieder
nachts, umstellt von den lithographierten Stei-
nen, auf die am Morgen der Charivari wartete,
seine Holztafeln malen, um die sich niemand
kümmerte. Die Arbeit bei schlechtem Lampen-
licht ließ seine Augen fast erblinden. Notdürf-
tig fristete er seinen Lebensabend von einer
kleinen Pension, die ihm die dritte Republik
gewährte. Die Freunde ei holllen von einer Aus-
stellung seines Werks, die erstmals auch die
Leistung des Malers zur umfassenden Anschau-
ung brachte, eine materielle Hilfe für den Greis.
Aber nicht einmal die Kosten wurden einge-
bracht. Als Daumier in dem kleinen Landhause
zu Valmondois, das ihm in seiner bittersten
Not Corot geschenkt hatte, am ] 1. Februar vor
nunmehr fünfzig Jahren starb, mußte er auf
Staatskosten beerdigt werden.
Die traurige Ballade dieses Lebens hat ihren
Sinn und ihren Grund in Daumier selbst. Die
Spannung zwischen seinem nolgedrungenen
Journalismus und seinem Genius, der sich auf
den Flolztafeln ungleich ergiebiger zu äußern
vermochte,gehört zur Essenzdes Daumierschen
Werks. Die weite rauschende Welt der rund
viertausend Daumier-Lithographien wäre nicht
von jener aller Aktualität entrückten Gültigkeit,
stände nicht der Maler dahinter, wären diese
„Karikaturen" nicht ins Zeichnerische versetzte
räumlich-plastische Malerei. Umgekehrt aber
wäre Daumiers gemaltes Werk nicht von jener
substantiellen schöpferischen Phantasie, die die
neue, bürgerliche Welt mit shakespearescher
Wucht und Weite kündet, ohne Daumiers Re-
bellentrotz und soziales Ethos, das in der Kari-
katur sich eine gewaltige, noch ungehörte Spra-
che und scharfe Waffe schuf. Die Lithos glei-
chen in der Tat, wie Klossowski, der deutsche

Daumierbiograph sagt, dem versammelten heim-
lichen Schatz, von dem Dürer spricht. Daumiers
Aktivität ließ keine Flucht aus dem Leben in
ein selbstgeuügsames L'art pour fart-Künstler-
tum zu; Barrikadensturm, Bänkelsänger, Seil-
tänzer, Wäscherinnen waren ihm keine bloße
literarische Angelegenheit, noch hatte für ihn
das Bauerntum die romantische Glorie, die ihm
Millet gegen alles Programm doch schließlich
gab. Er war den Dingen wirklich nahe, die seine
Bildnerhand ergrilF. Er war halb willig, halb
widerstrebend nicht nur als Zeichner aktueller
Satire, sondern nicht weniger auch aus seinem
Wesen heraus in den Kampf des Tages not-
wendig verstrickt. Das Seltsame und Große an
ihm jedoch ist, daß in seiner Fland die Karika-
tur alles bloß Anekdotische, Zufällige, plump
allegorisch Anspielende, alles engherzig Ten-
denziöse verliert. Er spottet nicht aus der Frosch-
perspektive über die gelegentliche Schwäche
des Großen, sondern rückt mit Lnerbittlichkeit
den Kleinen auf den Leib, dem Bourgeois, der
sein entartetes Menschentum hinter pompösen
YS esten, Fracks, Halsbinden und Talaren, hin-
ter der hohlen Flerrengeste verbirgt — der
irgendeine Rolle spielen muß, um der leidigen
Selbsterkenntnis zu entgehen. In allen Lebens-
stufen und Lebenslagen: in der Kammer, im
Gerichtssaal, im Theater, in der Familie, auf
der Straße, im Schlafzimmer, beim Bade, in den
Kunstsalons, auf der Eisenbahn ist Daumier
ihm nachgegangen und hat ihn in seiner
trostlosen Banalität gezeigt, hat sein Wesen
im Schein und jene Lächerlichkeit enthüllt,
die nach Schopenhauer in der Inkongruenz
zwischen dem, was einer scheinen will, und
dem, was einer in Wirklichkeit darstellt,
gründet.

Aber die Lithographien für die Journale be-
wegen sich nicht nur in dieser Sphäre lachenden
Spotts. Sie greifen hinüber auch ins Symbo-
lische, besonders in den späteren Blättern; es
steht da etwa eine schlanke verhüllte Frau in
wortloser Trauer vor dem ins Endlose sich
dehnenden Feld, mit den ungezählten Toten-
leibern des Kriegs übersät oder vor dem zie-

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