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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Arens, Franz: Vom Wesen des Künstlerischen Schaffens und Nacherlebens
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Braungart, Richard: Charles Despiau
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0043

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sich durchaus richtig: wenn er aber mit seiner
Klage über den Mangel monumentaler Aufgaben
die Hyperintellektualisiertheit unserer bilden-
den Kunst gleichsam objektiv zu begründen
versucht, so kann ich ihm darin nicht ganz bei-
pflichten (der heutige Bildner findet in Graphik,
Tafelbild, Kleinplaslik usw. nun doch schon eine
stattliche Auswahl seit Jahrhunderten bewährter
nichtmonumentaler Ausdrucksmöglichkeiten).
Anderseits scheint mir Roth hingegen die Be-
deutung des objektiven Elements für das künst-

lerische Schaffen entschieden zu unterschätzen,
wo es um den maßgebenden Einfluß der Kunst-
mittel geht: diese lassen sich nicht nach Lust
und Laune improvisieren, sondern erweisen sich
in nicht geringerem Maße wesensbestimmend,
grenzsetzend, als die von ihm mitersuchten
psychologischen Gegebenheiten. Und darum
wird auch seine rein psychologische Kunst-
theorie, so originell sie ist, niemals die älteren,
vom Objekt ausgehenden, zu ersetzen imstande

sein. Franz Arens

CHARLES DESPIAU

Rodins plastisches Y\ erk ist in einem kaum je-
mals vorher beobachteten Umfang Ausdruck
einer ganzen Zeit, der Epoche des Impressio-
nismus, gewesen. Aber die Welt und ihre An-
schauungen haben sich unterdessen, sogar
mehrere Male, gründlich geändert. Und die Ge-
genwart sieht deshalb in Rodin, ohne den Re-
spekt vor ihm zu verlieren, nur V ergangenheit.
An seiner Stelle ist Aristide Maillol zum Künder
neuen Formgefühls geworden. Und wenn auch
seine geistige Potenz die von Rodin nicht ganz
erreicht, so steht doch ein großer Teil der jün-
geren Plastiker, und nicht nur Frankreichs,
direkt oder indirekt unter seinem Bann und
Einfluß. Das Wesen dieses neuen Formgefühls
aber ist, im Gegensatz zur Auflockerung und
zur gewollten Unbestimmtheit, zur fließenden
Form Rodins, die straffe Zusammenlassung der
Erscheinung in einfachen, großen Formen. Man
könnte auch sagen: in klassischen Formen. Denn
die letzte Konsequenz dieser Richtung ist oder
wäredie griechische Plastik der besten Zeit. Auch
an Altägyptisches darf man gelegentlich denken.
Es ist ein Wiederzurückführen der Plastik aus
Grenzgebieten zu ihren eigentlichen Urbezir-
ken, aus der im Grunde unplastischen Bewegt-
heit zur statuarischen Ruhe. So ziemlich das-
selbe läßt sich über das Schaffen von Charles
Despiau (Paris) sagen, der mit Selbständigkeit
ähnliche Wege wie Maillol und zu verwandten
Zielen geht und dessen Arbeiten, vor allem
seine Porträtbüsten, heute schon eine Klassizität
haben, die sie hoch über den Durchschnitt er-
hebt. Es ist ein schönes Schauspiel, wie in
diesen Köpfen das Persönliche sich in reinster,

von allem Nebensächlichen befreiter Prägung
offenbart und die auf das Wesentliche zurück-
geführte Form zugleich zeittypische Bedeutung
gewinnt. Das ist allerdings nicht antik, sondern
ein Kennzeichen der Plastiken der Renaissance.
Aber es sollte ja auch nicht gesagt sein, daß che
Antike das Vorbild oder die einzige Grundlage
der Kunst Despiaus sei. Er nimmt sein Gutes,
wo er es findet. Die Synthese aus verschiede-
nen Elementen aber, die sich manchmal fast
auszuschließen scheinen, ergibt etwas Neues,
das im Grunde, wenn wir ganz aufrichtig sein
wollen, doch mit nichts unmittelbar zu ver-
gleichen ist. Es ist das Gesicht der Zeit, unse-
rer Zeit, das uns aus diesen Plastiken ansieht.
Und wir müssen sagen, daß diese Zeit nicht so
schlimm und hoffnungslos sein kann, wie viele
sie darstellen möchten, wenn ihre Seele sich in
den klaren und edlen Gebilden dieser monumen-
talen Büsten verkörpern kann. Bewundernswert
ist übrigens auch das Technische, die Feinnervig-
keit der Fingerspitzen Despiaus, die alle Ober-
flächen mit leise vibrierendem Leben erfüllen
und dem Material seine Schwere nehmen, es
also gewissermaßen entmaterialisieren. Und
Beachtung verdient, wie dieser Künstler in
seinen Arbeilen Einst und Heute verbindet, und
wie die große Linie, die von der Antike über
die Renaissance bis zur Gegenwart führt, durch
ilmhalb bewußt undhalbinstinktiv weitergeleitet
wird. Despiaus Plastiken sind weithin sichtbare
Stationen auf dem geraden Y\ ege, der aus der
wohlverstandenen Tradition über die Gegen-
wart in eine Zukunft führt, die Vertrauen ver-
dient. Richard Braungart

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