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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Zur plastischen Töpferei der Peruaner
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ZUR PLASTISCHEN TOPFEREI DER PERUANER

Es fällt dem Europäer nicht leicht, den Wer-
ken der altamerikanischen Kunst gerecht zu
werden. Gleichgültig, ob es sich um Werke
der bildenden Kunst oder des Kunstgewerbes
handelt und ob die Objekte aus Mexiko, Zen-
tralamerika oder Peru kommen, man wird sie
in den meisten Fällen als barbarisch, wild und
einer Sphäre angehörig empfinden, die der
eigentlichen künstlerischen Gestaltung voraus-
geht. Die Tatsache, daß sich die übliche Be-
wunderung der Texlilien und der Federarbeiten
fast immer an die Technik, die Farben und
deren Zusammenstellung hängt, an Dinge also,
die mit der spezifischen Formgebung nur sehr
wenig zu tun haben, zeigt mit aller Deutlich-
keit, daß die eigentlichen Probleme vom abend-
ländischen Auge gar nicht wahrgenommen
werden.

Es gibt aber Ausnahmen, die uns unmittelbar
ansprechen: ein paar Statuen der FJuaxteken
aus dem Hinterlande von Tampico (Mexiko),
einige Reliefs der Maya von der Halbinsel
Yucatan und ein Teil der plastischen Keramik
des alten Peru.

Gerade die nordperuanischen Töpfer haben mit
ihren Gefäßen in der Form menschlicher Fi-
guren und Köpfe, in der Form von Tieren und
Früchten Werke geschaffen, die unserm Ge-
schmack ohne weiteres verständlich sind; und
das in solchem Maße, daß man bei den Worten
„Peruanische Keramik" in erster Linie an ihre
Erzeugnisse denkt und die übrige Produktion
des Landes daneben kaum beachtet. Und doch
läßt sie erst die stolze Höhe der sog. Chimu-
Kunst in ihrem ganzen Umfang erkennen.
Man unterscheidet in Peru eine Reihe von
Kulturen, über deren zeitliche Abfolge und
gegenseitige Beeinflussung wir noch recht wenig
wissen. So viel steht aber fest, daß um 1530,
zur Zeit der spanischen Invasion, ein einheit-
licher keramischer Stil über das ganze Land
herrschte, der nach dem Zentrum des Inka-
Reiches, Cuzco, der Cuzco-Stil benannt wurde.
Diese Kunst beschränkt sich auf die Darstellung
der ganz groben, typischen Unterschiede, es
fehlt der Sinn für größere Zusammenhänge.
Als der Ausdruck einer noch primitiveren

Vorstellungslufe muß der Tihuanaco-Stil an-
gesprochen werden, der in der Gegend des
Tilicaca-Sees, im Süden Perus, zu Hause ist und
seinen Einfluß weit nach Norden geschickt hat.
Ihm ist die Formzerteilung eigentümlich ein
Zerlegen der großen, naturgegebenen Ein-
heiten in einzelne Bestandteile, die lose anein-
andergereiht werden. Das ergibt Bildwerke von
phantastisch wilder Wirkung, erschreckend
und furchtbar wie Gesichte eines Wahnsinnigen.
Die Tihuanaco-Kultur geht der Cuzco-Kultur
lange voraus.

Von diesen beiden Hauptrichtungen hebt sich
die Kunst der Chimu-Kultur im Norden Perus
ab. Es ist eine Kunst der Küstenländer und
es scheint, als ob die Berührung mit dem Meer
den Geist geklärt und geläutert habe; jedenfalls
ist das anschauliche Vorstellen nur hier zum
Verständnis großer, einheitlicher Zusammen-
hänge vorgedrungen. Das überraschend reife
Sehen vermag in manchen W^erken über das
Allgemeine der Gattung hinaus den Sonderfall
der Individualität zu fassen und wiederzugeben.
Die erstaunlich gut erhaltenen Gefäße in Form
menschlicher Köpfe und ganzer Figuren gehen
häufig so stark auf das Einmalige der Erschei-
nung ein, daß man an Porträtdarstellungen den-
ken kann. Das sind jedoch Ausnahmen, im
großen Ganzen spricht das Typische lauter als
das Individuelle.

Diese Nordperuaner waren ein stolzer und
freierMenschenschlag,besonders die männlichen
Köpfe zeigen einen edlen, energischen Schnitt
und einen mutigen, kraftvollen Ausdruck (s. Ab-
bildung).

Für uns ist es höchst merkwürdig, daß diese
monumentalen Werke ausnahmslos als Be-
hälter gebildet sind, innen hohl und oft mit
weiten Henkeln versehen. Flöchstwahrscheinlich
sind magisch-religiöse Vorstellungen für diese
Bindung an die Gebrauchsform maßgebend
gewesen.

Die Chimu-Kunst stellt zweifellos den Höhe-
punkt der südamerikanischen Kultur dar. Sie
wurde um die Mitte des 15. Jahrhunderts n.Chr.
von den Inkas zerstört, die ihren primitiveren
Cuzco-Stil mit sich brachten. L.B.

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