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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Ottmann, Franz: Die Neue Moderne Galerie in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0394

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DIE NEUE MODERNE GALERIE IN WIEN

Ein Werk, das Geheimrat Dörnhöffer in den letz-
ten Jahren seines Wiener Wirkens begonnen hat,
wurde kürzlich zu Ende geführt: Die Moderne
Galerie. Anders als sie damals gedacht war: Die
österreichische Gotik ist ins Staatsmuseum ver-
wiesen, dafür aber dem Barock ein eigenes Haus
gewidmet und die Kunst des ig. Jahrhunderts
hat sich in den prächtigsten Räumen der Stadt
zu behaupten. Nun ist, durch ausgiebige Hilfe
des „Vereins der Museumsfreunde", auch der Ab-
schluß geschaffen. Die Räume in der Orangerie
des Belvedere sind leider ohne Oberlicht und meist
klein (man wird sich mit wechselnden Ausstel-
lungen behelfen), von den Architekten Hartinger
und Mohr klar und heiter gestaltet. Selbst kahle
Wände, Fliesen des Bodens sind zu feiner künst-
lerischer Wirkung herangezogen. Das Schönste:
Der Park, ein Zwickel zwischen Belvedere- und
Schwarzenberggarten, vor den Fenstern breit hin-
gerollt, von Statuen belebt, nicht überfüllt.
Unter diesen Statuen leuchtet ganz wörtlich
Maillols „Gefesselte Freiheit'"(l'action enchainee)
hervor, denn sie kommt frisch vom Guß : robuste
Glieder, in unbändigem Drange wild verdreht,
in diesem idyllischen Park ein unheimlicher Gast,
wie ein Symbol von 178g. Das Gegenstück ist
Meuniers bekannter Lastträger. Dann Rodins
„Eva", aus der Ferne weniger imposant in ihrer
zerknirschten Haltung, mit feinen huschenden
Lichtern. In der Mitte eines kreisrunden Wasser-
beckens Renoirs „Siegreiche Venus", das vom ge-
lähmten Künstler einem tüchtigen Gehilfen in die
Hand diktierte Werk mit dem abgehaltenen Tuche
zu prachtvollem ruhigem Schwünge gerundet.
Rechts an der Laubwand Stursas „Badende", in
gedrängter quellender Üppigkeit kauernd, ein
durch und durch slawisches Werk. Dann weiter
im Freien Gauls „Eselreiter", ein gemächliches
Stück des Südens, in den uns Hallers „Abessini-
scher Knabe'- noch tiefer hineinführt. Als Ab-
schluß der Stufe zur oberen Terrasse Müllners
„Nackter Reiter'', einst von der Gemeinde aus
Prüderie abgelehnt, eine kraftvolle Silhouette.
In einer Nische am Eingang Hanaks Marmor-
,,Sphinx", ein blütenhaft träumendes Mädchen
in etwas beängstigender Dumpfheit. Und in
einem engen Freiraum am andern Ende seine
Bronze „Der letzte Mensch", der verzweifelte
Aufschrei von 1918.

Nun die Bilder. Man hat zu spät, erst nach igoo,
zu sammeln begonnen. Dieses „Zu spät" liegt dem
Wissenden schwer über dem Ganzen. Aber nun
werden auch prinzipielle Einw ände laut: man solle
unter solchen Umständen nicht so sehr ins Inter-
nationale greifen, sondern die österreichische
Kunst hervorstellen, die sonst nirgends eine Heim-
stätte habe. Die Leiter aber, Dr. Haberditzl mit

seinen Helfern, Dr. Grimschitz und Dr. Schwarz,
halten den europäischen Maßstab aufrecht, wo-
durch nun freilichdieEigenart der österreichischen
Kunst nicht recht hervortritt. Der Unwille unter
den Künstlern und auch den Kritikern ist groß,
die Folgen sind noch nicht abzusehen.
Es ist immerhin ein Ausschnitt, wenn auch lange
kein vollgültiger, aus dem Schaffen der letzten
30 Jahre geboten. Am besten ist Klimts Werk
aufgebaut, im größten Saale, für sich allein, mit
dem flimmernden Schmuck der Wände, wie ihn
Joseph Hoffmann für die römische Ausstellung
1911 entworfen hat. Sein Erbe Schiele war ein
anderer als er hier erscheint, auch Kokoschka
lernt man nur als Jüngling kennen. Von Egger-
Lienz ein Hauptwerk „1809", das nur seine mitt-
lere Zeit repräsentiert. Stärker hebt sich die
Kärntner Gruppe Böckl-Kolig und Wiegele heraus
(für viele allzu stark). Böckl ist wohl mit Absicht
neben den einzigen van Gogh gehängt, zum Ver-
gleich herausfordernd. Kolig (jetzt Professor in
Stuttgart) läßt den Leuchtbrunnen seiner Farben
in wilder, aber nur scheinbar ungezügelter Fülle
aufrauschen. Wiegele ist der am meisten Be-
herrschte, ein weniger impulsiver als unermüd-
lich bohrender Arbeiter. Faistauers Hugo von
Hofmannsthal: der Dichter, von einem Dichter
geschaut. Sonst noch manches Reife (und auch
Halbreifes) aus dem österreichischen Schaffen
der Gegenwart: Dobrowskys von Farben vollge-
sogenes Bildnis, Andersens brennend-kühle
Träume (auch ein Gobelin), Andris gemessener
„Holzschlag", Kitts rein undklarwieeinBrunnen
gefaßtes Frauenporträt, Böttgers sommerlich
üppiger „Kloslergarten", Jungwirths räum- und
meertrunkenes „Stockholm"' . . .
Von Deutschland gibt es nur sehr ungenügende
Proben von Barlach bis Uhde — man weiß ja,
wie wenig ein einzelnes, selbst gutes Stück in
der Fülle besagt. Auch Corinth mit drei und
Liebermann mit fünf Bildern runden sich nicht
zu ihrem vollen Werte. Ein einziges Bild von
Slevogt (..Badende Knaben") gibt gerade einen
Schimmer seiner Eigenart. Daß gar die Franzosen
nur wie von ferne auftauchen, muß selbst der
Uneingeweihte bemerken, vielleicht am besten
daran, daß man in der Not einige flüchtige Zeich-
nungen von Cezanne aus der Albertina entlehnt
hat. Und so geht es weiter zu Hodler, Münch,
den Slawen — es ist nicht abzusehen, wie diese
Lücken je gefüllt werden sollen.
Dieses Bedauern trifft aber nicht die Leitung,
die mit ihren beschränkten Mitteln eben vor
eine unmögliche Aufgabe gestellt ist. Was
hier an feinfühliger Auswahl und Zusammen-
stellung geleistet wurde, ist ein Versprechen für

Weiteres. Dr. Franz Ottmann

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