Rubens an Technik lernte, ist durchaus bewun-
dernswert. Aber es stand keine Rubenszeit hinter
ihm und so läuft das Räderwerk oft leer. Macht
uns da unser völlig gewandeltes Empfinden un-
gerecht? Oder was ist es, daß seine Farben für
uns keine Magie haben, kein Geheimnis?
Porträtaufträge locken Canons innerste Kraft her-
vor. An Einfühlung in die verschiedenartigsten
W esenheiten ist er von wenigen erreicht. Die
Modellierung des Fleisches ist hauchartig fein,
die Gesamthaltung immer vornehm, zurückhal-
tend, auch wenn geraffte Vorhänge, gesteigerte
Gebärde ein falsches Pathos vorspiegeln. Aber
diese Menschen sind so seltsam ins Leere gestellt.
Nur in zwei Kinderbildnissen, dem Besten der
Ausstellung, bricht ein glücklich erhaltener Fond
von naiver Kindlichkeit hindurch. Sowie er aber
ins Kostüm gerät . . .
Im Oberen Belvederehängt seine „Loge Johannis",
die 1873 auf der Weltausstellung solches Auf-
sehen erregte, daß Canon wieder nach Wien
zurückkehren konnte. A n diesen Gottvater mit dem
Jesuskinde hat er wohl selbst nicht geglaubt. Oder
ist die akademische Korrektheit schuld, daß uns
dieses Bild heute so kühl läßt? Was er dann
1884/85 malte, „Der Kreislauf des Lebens", ist
ein Manifest des Matetialismus und Positivismus,
künstlerisch freilich auch aus Rubens (dem
..Jüngsten Gericht" in München) geschöpft. Es
ist der ..Kampf ums Dasein" dargestellt, in zwei
gegeneinander stürmenden Reitern gipfelnd.
In der Mitte des Kreises die Sphinx, ins Leere
starrend, darunter der offenbar pessimistische
Philosoph, auf dessen Stirne steht,, Ignorabimus".
In keinem anderen Werke hat die Zeit um 1880
einen so prägnanten Ausdruck gefunden. Einige
Jahre später entstanden als Feuerbachs ..Titanen-
kampf" von 1875 ist dieser „Kreislauf der
letzte barocke Wurf von weltumfassender Größe.
Er erklärt auch, was wir Heutigen an diesem
Lebenswerk vermissen. Es ist der Mangel an
metaphysischem Geist, ohne den das Materielle
doch nicht zu bezwingen ist. Wie seltsam! Canon
malt etwa einen Hasen — brillant. Aber man
spürt kein Materialgefühl, während Dürer, von
der Idee kommend, seinen Feldhasen mit tiefer
animalischer Wärme durchtränkt.
Aber dasselbe ist es ja auch, was uns aus dem Groß-
teil jener Neo - Renaissance als erschreckende
Leere anweht. Dieser Mangel verkleinert die
Bedeutung des Meisters. Aber daß er ihn so fühl-
bar werden läßt, beweist ihn doch gerade als
großen Künstler.
Dr. Franz Ottmarm
DER BILDHAUER ARNO BREKER
Arno Breiter gehört zu den Künstlern in un-
serer Zeit, denen die Y\ irklichkeitsform wieder
zum stärksten Erlebnis, ihre künstlerische Ge-
staltung zur dringendsten Forderung geworden
ist. Die menschliche Gestalt ist uns heute nichts
Zufälliges mehr, das durch eine geistige Aus-
drucksform, die oft genug imaginär bleiben
muß, zu verdrängen wäre. Nach den Uberstei-
gerungen des Expressionismus ist es uns wieder
bewußt geworden, wie wesentlich die Be-
ziehungen zwischen körperlicher und geistiger
Form sind, wie eines durch das andere bedingt,
eines durch das andere verständlich wird. Es ist
also nicht flacher Naturalismus, sondern eben
dieses VS issen um geheimste Zusammenhänge,
wenn ein Künstler heute der W irklichkeitsform
möglichst nahezukommen sucht. Wie er diese
Form gestaltet, wie er ihre Einzelheiten ohne
Vergewaltigung auf einander abstimmt, darin
liegt der Schwerpunkt des Schaffens.
Arno Breker ist Rheinländer, geboren in Elber-
feld, lernte an der Düsseldorfer Akademie und
arbeitet jetzt in Paris. Alle seine Arbeiten
sprechen von dem leidenschaftlichen, beinahe
verbissenen Ringen um die Gestaltung und
bieten sich durch diese starke, stets fühlbare
Spannung in einer unerhörten\ ielfältigkeit dar.
Es ist ja seltsam, daß die Skulptur in ihrer
Konzentration mehr Anschuuungsmöglich-
keiten bietet als die 'Wirklichkeit. Gerade
Brekers Arbeiten vermitteln diesen Eindruck
sehr lebhaft. Man entdeckt im Herumgehen
immer neue Reize, neue Ansichten, die den
ersten Eindruck verändern und runden. Zum
Teil ist das auch der Behandlung der Oberfläche
zu danken, die bald körnig, bald unregelmäßig
geschichtet, bald sorglich geglättet, dem Ge-
samtcharakter des Kunstwerks eine besondere
Note verleiht.
Eine auffallende Begabung hat Breker für die
Bildnisbüste. Die ganze Entwicklung brachte es
mit sich, daß dieses Gebiet von der großen Kunst
lange vernachlässigt wurde. Denn weder impres-
sionistische Auffassung von Eicht und Bewegt-
heit, noch expressionistische Verachtung reiner
Naturform mochte hier eine lohnende Aufgabe
370
dernswert. Aber es stand keine Rubenszeit hinter
ihm und so läuft das Räderwerk oft leer. Macht
uns da unser völlig gewandeltes Empfinden un-
gerecht? Oder was ist es, daß seine Farben für
uns keine Magie haben, kein Geheimnis?
Porträtaufträge locken Canons innerste Kraft her-
vor. An Einfühlung in die verschiedenartigsten
W esenheiten ist er von wenigen erreicht. Die
Modellierung des Fleisches ist hauchartig fein,
die Gesamthaltung immer vornehm, zurückhal-
tend, auch wenn geraffte Vorhänge, gesteigerte
Gebärde ein falsches Pathos vorspiegeln. Aber
diese Menschen sind so seltsam ins Leere gestellt.
Nur in zwei Kinderbildnissen, dem Besten der
Ausstellung, bricht ein glücklich erhaltener Fond
von naiver Kindlichkeit hindurch. Sowie er aber
ins Kostüm gerät . . .
Im Oberen Belvederehängt seine „Loge Johannis",
die 1873 auf der Weltausstellung solches Auf-
sehen erregte, daß Canon wieder nach Wien
zurückkehren konnte. A n diesen Gottvater mit dem
Jesuskinde hat er wohl selbst nicht geglaubt. Oder
ist die akademische Korrektheit schuld, daß uns
dieses Bild heute so kühl läßt? Was er dann
1884/85 malte, „Der Kreislauf des Lebens", ist
ein Manifest des Matetialismus und Positivismus,
künstlerisch freilich auch aus Rubens (dem
..Jüngsten Gericht" in München) geschöpft. Es
ist der ..Kampf ums Dasein" dargestellt, in zwei
gegeneinander stürmenden Reitern gipfelnd.
In der Mitte des Kreises die Sphinx, ins Leere
starrend, darunter der offenbar pessimistische
Philosoph, auf dessen Stirne steht,, Ignorabimus".
In keinem anderen Werke hat die Zeit um 1880
einen so prägnanten Ausdruck gefunden. Einige
Jahre später entstanden als Feuerbachs ..Titanen-
kampf" von 1875 ist dieser „Kreislauf der
letzte barocke Wurf von weltumfassender Größe.
Er erklärt auch, was wir Heutigen an diesem
Lebenswerk vermissen. Es ist der Mangel an
metaphysischem Geist, ohne den das Materielle
doch nicht zu bezwingen ist. Wie seltsam! Canon
malt etwa einen Hasen — brillant. Aber man
spürt kein Materialgefühl, während Dürer, von
der Idee kommend, seinen Feldhasen mit tiefer
animalischer Wärme durchtränkt.
Aber dasselbe ist es ja auch, was uns aus dem Groß-
teil jener Neo - Renaissance als erschreckende
Leere anweht. Dieser Mangel verkleinert die
Bedeutung des Meisters. Aber daß er ihn so fühl-
bar werden läßt, beweist ihn doch gerade als
großen Künstler.
Dr. Franz Ottmarm
DER BILDHAUER ARNO BREKER
Arno Breiter gehört zu den Künstlern in un-
serer Zeit, denen die Y\ irklichkeitsform wieder
zum stärksten Erlebnis, ihre künstlerische Ge-
staltung zur dringendsten Forderung geworden
ist. Die menschliche Gestalt ist uns heute nichts
Zufälliges mehr, das durch eine geistige Aus-
drucksform, die oft genug imaginär bleiben
muß, zu verdrängen wäre. Nach den Uberstei-
gerungen des Expressionismus ist es uns wieder
bewußt geworden, wie wesentlich die Be-
ziehungen zwischen körperlicher und geistiger
Form sind, wie eines durch das andere bedingt,
eines durch das andere verständlich wird. Es ist
also nicht flacher Naturalismus, sondern eben
dieses VS issen um geheimste Zusammenhänge,
wenn ein Künstler heute der W irklichkeitsform
möglichst nahezukommen sucht. Wie er diese
Form gestaltet, wie er ihre Einzelheiten ohne
Vergewaltigung auf einander abstimmt, darin
liegt der Schwerpunkt des Schaffens.
Arno Breker ist Rheinländer, geboren in Elber-
feld, lernte an der Düsseldorfer Akademie und
arbeitet jetzt in Paris. Alle seine Arbeiten
sprechen von dem leidenschaftlichen, beinahe
verbissenen Ringen um die Gestaltung und
bieten sich durch diese starke, stets fühlbare
Spannung in einer unerhörten\ ielfältigkeit dar.
Es ist ja seltsam, daß die Skulptur in ihrer
Konzentration mehr Anschuuungsmöglich-
keiten bietet als die 'Wirklichkeit. Gerade
Brekers Arbeiten vermitteln diesen Eindruck
sehr lebhaft. Man entdeckt im Herumgehen
immer neue Reize, neue Ansichten, die den
ersten Eindruck verändern und runden. Zum
Teil ist das auch der Behandlung der Oberfläche
zu danken, die bald körnig, bald unregelmäßig
geschichtet, bald sorglich geglättet, dem Ge-
samtcharakter des Kunstwerks eine besondere
Note verleiht.
Eine auffallende Begabung hat Breker für die
Bildnisbüste. Die ganze Entwicklung brachte es
mit sich, daß dieses Gebiet von der großen Kunst
lange vernachlässigt wurde. Denn weder impres-
sionistische Auffassung von Eicht und Bewegt-
heit, noch expressionistische Verachtung reiner
Naturform mochte hier eine lohnende Aufgabe
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