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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Nolde, Emil: Aus Briefen von Emil Nolde
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0055

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AUS BRIEFEN VON EMIL NOLDE

Während ich in früheren Jahren alle 3 oder
5 Wochen einen Brief schrieb, hat es sich seit
einigen Jahren auf täglich 3—4 verdichtet. Die
erste tägliche Kraft wird hierzu verlangt. Wenn
ich am Nachmittag zum Malen gehe, merke ich,
nur der Rest der Kraft kommt der Kunst zu-
gute. Wenn trotzdem ich Bilder male, die uns
glücklich machen, so liegt doch bei mir die
lastenschwere Empfindung dahinter, daß ich das
Außergewöhnliche nicht losen kann, nicht werde
lösen können, weil die Welt mich will verzehren,
verzetteln.

Ich fühle, daß diese Ecke wohl kommen wird,
an der nur ganz wenige schadlos vorbeikommen.
Fast alle gingen, als die Geselligkeit, das Leben,
der Erfolg sie umschmeichelte, verloren. Die
Höhe fehlt seitdem dieser Kunst. Nur wenige
weltferne Einsame, Marees, Feuerbach, Leibi,
ließen sich nicht einfangen und schufen solange
sie lebten.

#

Als Beginnender war die Welt und alles gegen
mich, nach einer Ecke verdrängt als einsamster
Mensch, aber dadurch in stärkster Konzentration
begann die künstlerische Kraft sich zu entfalten.
Nun allmählich wendet sich alles zu mir oder
meiner Kunst und eine Fülle von allem An-
genehmen mag für den schaffenden Künstler
der schwerste Feind werden. — Dann gewiß
fühlt man, daß man älter wird. Ich aber liebe
so sehr, wenn im Garten treibende Pflanzen
müssend dieschvvereErde beiseiteschieben. Diese
Freude bitte ich, möge mir auch in meinem
Schaffen lange erhalten bleiben.

*

Sie fragen nach meiner Meinung über deutsche
Kunst. Als Künstler lebe ich arbeitend und
einsam, aber folge den künstlerischen Bewegun-
gen und glaube Ihnen sagen zu dürfen, daß in
unserer Gegenwartin Deutschland einige her vor-
ragende Künstler sind, die ganz auf eigenem
Boden stehend, persönlich, intensiv und stark
produzieren. Im Gegensatz zu vorhergehenden
Generationen lassen sich diese Künstler nicht
anlehnend von den romanischen Völkern be-
einflussen. Man gräbt auf eigenem Felde und
die hierbei entstehende Kunst wird gewiß die
Lebenskraft in sich tragen, dem reinigenden,

ausschaltenden Trieb der Zeiten zu widerstehen.
Ich schätze und liebe diese deutsche Kunst un-
serer Zeit, — es ist als ob die Urquellen wieder
fließen.

Daß im späteren Alter die Anerkennung seiner
Zeit dem alten Rembrandt versagt war, ist wohl
uns Menschen heute ein großes Glück. In seiner
Vereinsamung malte er diese unsagbar schönen
Bilder, — wäre es geschehen, wenn die Welt
mit ihren tausend Armen ihn als Mensch und
Künstler hätte haben wollen?

Du kennst meine Neigung, gern zwischen dem
Künstler und dem Menschen scheiden zu wollen.
Der Künstler ist mir etwas wie eine Zugabe
zum Menschen und ich kann von ihm sprechen,
wie von etwas anderem als dem Selbst und das
darf ich gewiß auch. —

Es ist der Künstler ein sensibles, licht-und lärm-
scheues Wesen, oft leidend, sich verzehrend in
Sehnsucht. Die Menschen fast alle sind seine
Feinde, die Freunde, seinenächsten, dieschlimm-
sten. Wie eine Polizei sind sie dem Lichtscheuen,
er sieht ihre Laterne. Der Teufel in ihm wohnt
im Gebein, die Gottheit im Herzen. Wer ahnt
diese Mächte, die sich streiten und die entstehen-
denKonflikte! Hinter Mauern lebt der Künstler,
zeitlos, selten im Flug, oft im Schneckenhaus.
Seltsames, tiefstes Naturgeschehen liebt er, aber
auch die helle, offene Wirklichkeit, die ziehen-
den Wolken, blühende, glühende Blumen, die
Kreatur. Unbekannte, ungekannte Menschen
sind seine Freunde, Zigeuner, Papuas, sie tragen
keine Laterne. Er sieht nicht viel, andere Men-
schen aber sehen gar nichts. Er weiß nichts. Er
glaubt auch nicht an die Wissenschaft, sie ist
nur halb. Wie die Sonne nicht kennt die Dämmer-
stunde, den Hauch, das Zarte, den seltsamen
Zauber dieser Stunde — wenn sie erscheint ist
alles längst scheu entflogen — so kennt auch die
Wissenschaft mit ihrer Lupe dies alles nicht.
Besser kann ich nicht sagen, w:as ich sagen
möchte, nur zuweilen kann ich es malen.

(Aus Emil Nolde, Briefe. Furche-Verlag, Berlin)

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