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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Hausenstein, Wilhelm: Ludwig Michael Schwanthaler
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LUDWIG MICHAEL SCHWAN THALER

Was weiß München von ihm? Was weiß
Deutschland von ihm? Der Name „liegt in der
Luft"; er ist eine Ahnung; hin und wieder ist
er auch ein Begriff—freilich ein unzulänglicher.
Wie viele von den Einheimischen und von den
Sommerfremden, die unter den Kastanien des
Münchner Hofgartens ihren Kaffee trinken oder
ihr Gefrorenes essen, haben sich Rechenschaft
darüber gegeben, daß jenes bronzene Brunnen-
weibchen an der Mitte der nördlichen Hof-
gartenarkaden eines der liebenswürdigsten Bild-
nerwerke des deutschen ig. Jahrhunderts ist —
und daß die Hände Schwanlhalers es geformt
haben? Schwanthaler: der Name deutet allen-
falls auf die Bavaria über der Theresienwiese.
Die Bavaria? Ein Y\ ahnsinn, nicht wahr — wenn
nicht eine Lächerlichkeit? Ich für meinen Teil
behaupte, daß diese Figur gut ist; ich behaupte
es gegen das Gelächter der Laien und der Fach-
leute. Man kann darüber streiten, ob der Ge-
danke an sich selbst glücklich gewesen ist ; aber
einmal gefaßt und zum Auftrag ausgewachsen
konnte er gar nicht bessere künstlerische Wirk-
lichkeit werden. Die Geschlossenheit des bild-
nerischen Aufbaus ist künstlerische Energie;
die Form ist ruhig und klar; das einzelne ent-
behrt nicht des Adels — das Haupt ist reine,
kräftige und noble Schönheit.
Man müßte, um das Verhältnis zu Schwanthaler
zu berichtigen, das weitläufige Inventar des Wer-
kes den Heutigen gegenwärtig machen, jenes In-
ventar, das den Zeitgenossen Schwanlhalers und
der Nachwelt bis hin zu Reichardts Katalog
der Entwürfe aus dem Jahr 1885 (der Katalog
kennt zweitausend Nummern aus einer kaum
dreißigjährigen Produktion) so gegenwärtig und
so wichtig war. An dieser Stelle kann das In-
ventar allerdings nicht gegeben, sondern nur
angedeutet werden. Ludwig I. hat den Meister
zur Dekoration des Neubaus der Besidenz heran-
gezogen; Schwanthaler hat plastische Dekors
(und mehr als bloße „Dekors") gegeben; er
hat auch für die Arbeit der Maler Entwürfe
geliefert; der treffliche Johann Georg Hiltens-
perger, Schüler des Cornelius, hat nach den
Vorlagen Schwanthalers im Königsbau gemalt

— der nämliche Hiltensperger, dessen schöne
Pferdekompositionen in der roten Säulenhalle
der Hauptpost, nächst den Thealern, uns jeden
Tag eine stille Freude machen können, der
nämliche Hiltensperger, der den jungen Marees
in der Schule hatte, so daß wir den Schwanthaler
in der Aszendenz auch des Marees etablieren
dürfen . . . Klenze und Gärtnei', die beiden
großen Baumeister Ludwigs I., haben Schwan-
thaler regelmäßig zugezogen, wenn sie eines
Meisters bedurften, dessen skulpluraler Stil mit
Empfindung Für die Würde des Architektoni-
schen begabt war. Schwanthaler schuf den
bildnerischen Schmuck der Glyptothek, der
Propyläen, des Kunstausstellungsgebäudes, der
Staatsbibliothek, der Feldherrnhalle (der ausge-
zeichnete Tilly, der Wrede sind seine Arbeit).
Der Alten Pinakothek gab er die Malerstatuen
der Südfront. Der Münchner Ruhmeshalle
hinter der Bavaria, der Walhalla bei Begens-
burg, der Befreiungshalle bei Kelheim gab er
plastisches Dekor. In der Ära des Christian
Bauch, des Berthel Thorwaldsen, die ziemlich
genau seine Zeitgenossen waren und für die
Standbildplastik außerordentliche Formen be-
saßen, bekam Schwanthaler von überallher
Denkmalaufgaben in Menge zu lösen; und wenn
es wahr ist, daß die Unzahl der Aufträge ihm ge-
schadet, daß sie seine Art ins Konventionelle
gedrängt hat, so läßt sich doch nicht abstreiten,
daß seine Konvention Y\ ahrheit besaß und daß
unter den vielen, allzuvielen schwanthalerischen
Denkmälern einige erfreuliehe gefunden werden.
Schwanthaler hat vorzügliche Büsten gemacht,
fürstliche und bürgerliche; er hat treffliche
Bildnisreliefs modelliert. Aber sein Bestes: die
Werke gleichsam inoffizieller Art, die Stücke
privateren,intimeren Charakters — dasBrunnen-
weibchenimMünclmeiHofgarten,die Nymphen,
Göttinnen, Tänzerinnen, diese innigen und von
Leben erfüllten Dinge zwischen biedermeier-
lichem Genre und klassizistischer Würde,
zwischen deutscher Romantik und antikischem
Begriff und naiver bürgerlicher Sinnlichkeit
von 1830, i84o. Indes, das Werk wird schier
unabsehbar. Die Aufnahme des Bestandes führt

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