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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Przychowski, Anna von: Friedrich von Nerly: zum Gedächtnis seines fünfzigjährigen Todestages
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0119

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schickt über das Bild verteilte Staffage zu ver-
stärken. Auch die „Partie aus den italienischen
Alpen" (Abb. S. 101) zeigt diese Art der
Bildaufteilung.

Die Motive seiner Waldbilder stammen vor-
wiegend aus der Serpentara, deren urwaldar-
tiger Baumbestand gerade die deutschen Maler
lebhaft anzog. Nerly mögen wohl die Wälder
seiner Heimat vorgeschwebt haben, als er die
idyllischen Waldeinsamkeiten mit sprudelndem
Quell und friedlich äsenden Rehen schuf (Abb.
S. 103). Es sind Landschaften, die ebensogut
in deutschen Waldgebirgen entstanden sein
könnten. Wäre Nerly nach Deutschland zurück-
gekehrt und hätte dort seine Künstlerlaufbahn
vollendet, anstatt nach seinem Fortgang von
Rom für immer in Venedig zu bleiben, so hätte
sich seine Kunst vermutlich gerade nach dieser
Richtung hin aufs Höchste entfaltet.
Zu dem Besten, was Nerly geschaffen hat, ge-
hören die Studien und Gemälde aus Olevano.
Das am Ende eines langen Bergrückens auf
schroff abfallendem Felsen thronende Castell
d'Olevano, dessen hohe Turmruine die Land-
schaft weithin beherrscht, war bei Nah- und
Fernsicht von großem malerischem Reiz. Eigen-
tümlich ist, wie gerade in einem seiner Oleva-
neser Bilder die ihm von Rumohr eingeimpfte
Art der Diagonalschattierung wieder auflebt
und hier den Bildeindruck wesentlich unter-
stützt.

Ein Beweis, wie ihn schon in Rom atmosphä-
rische Probleme beschäftigten, sind die frühen
Skizzen und Bilder von Tivoli mit seinen Kas-
kaden, deren feiner Wasserdunst über der
Landschaft emporsteigt. Er wußte dieser, je
nach der Beleuchtung, immer neue Reize ab-
zugewinnen. (Abb. S. 102.) Essindfein empfun-
dene Stimmungslandschaften — keine effekt-
vollen wie die späteren venezianischen — von
zarter, bald ins Rötliche, bald mehr ins Bläu-
liche spielender violetter Färbung. Diese ist
überhaupt ein Kennzeichen von Nerlys Pa-
lette, die zuweilen einen Stich ins Süßliche be-
kommen hat.

Nerly selbst war sich bewußt, daß seine frucht-
barste und künstlerisch am höchsten stehende
Schaffensperiode diese römischen Jahre waren.
Ließ ihm später einmal die Frohnarbeit im
Dienste des Publikums Zeit, griff er auf die
Studien jener Jahre zurück und schuf Bilder,
in denen wieder etwas von der früheren Frische
lebendig wird.

Ungeachtet der dringenden Versuche seiner
Freunde, besonders des alten Reinhart, ihn in
Rom zurückzuhalten, verließ Nerly 1835 die
ewige Stadt, mit der Absicht, auf mancherlei
Umwegen in die Heimat zurückzukehren.
Bei einem Abstecher nach Venedig wurde er
von dem märchenhaften Zauber der Lagunen-
stadt derart gefesselt, daß er seine Weiterreise
immer wieder verschob. Aber nicht die Natur
allein hielt ihn hier zurück, sondern auch die
Liebe zu einer jungen, schönen Italienerin, mit
der er sich, trotz schwerwiegender Hindernisse,
i84o ehelich verband. So kam es, daß Nerly
für immer in Venedig blieb und seine Heimat
nur noch auf kurzen Besuchsreisen wiedersah.
Im Herzen aber blieb er ein Deutscher.
Seine venezianischen Arbeiten der ersten Jahre
stehen den römischen nicht nach. Ursprünglich-
keit der Empfindimg und satte Farbigkeit zeich-
nen sie aus. Es sind Bilder von hoher Qualität.
Zu den flott hingeworfenen Tuschzeichnungen,
die durch vereinzelte Farbtupfen und weiß auf-
gesetzte Lichter reizvoll belebt sind, verwen-
dete er mit Vorliebe braunes, für seine Mond-
scheinstudien stumpfes Blaupapier. In den spä-
teren Jahren wurde seine Kunst völlig von der
Wiedergabe starker Lichtkontraste beherrscht.
Seine glühenden Sonnenuntergänge, seine fah-
lenMondscheinlandschaften mit den glitzernden
Spiegelungen auf dem dunklen Wasser (Abb.
S. 100) begeisterten das Publikum, das ihn —
ihm selbst zum Ekel — immer von neuem zu
Wiederholungen zwang. Diese Bilder entspra-
chen dem Zeitgeschmack. Beim Betrachten eines
Kunstwerkes wollte man sich damals ganz in
dessen Stimmungszauber versenken, sich selbst
darüber vergessen. Nerly wurde durch diese
Schöpfungen zum Modemaler Venedigs, seine
Kunst aber erstarrte zu kaltem Schematismus.
Er konnte sich den Aufträgen nicht entziehen,
er brauchte sie zum Lebensunterhalt für sich
und seine Familie. Alle äußeren Ehren, die
Nerly reichlich zuteil wurden — von Fürsten
und seitens der Akademien — können nicht dar-
über hinwegtäuschen, daß über seinem Leben
als Künstler eine tiefe Tragik liegt, deren er
sich voll bewußt war. Um Nerly als Künstler
gerecht zu werden, muß man die Spätzeit seines
Schaffens ausschalten und nur sein Jugendwerk
ins Auge fassen. Dann wird man verstehen,
daß sein Name in der Geschichte der deutsch-
römischen Künstler einen guten Klang hat
und immer behalten wird. A. t.Prrychowski

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