L. A. KELLER
MÄDCHENKOPF
nen, messen, technisch darstellen oder nur ge-
fühlsmäßig ertasten? Heute, da Technik alles
meistert, sollte sie nicht auch das Schöne mei-
stern? In diesen Gedanken vertiefte sich Ignis in
seiner faustähnlichen Werkstatt heimlich Jahr
für Jahr, bis er endlich, plötzlichsein,, Heureka"
ausrufen konnte. Triumphierend verkündete er
es und gewährte einer Reihe berühmter Sach-
verständiger Einlaß, das Ergebnis seiner Stu-
dien zu bestaunen, Museumsdirektoren, Künst-
lern, Professoren der Anatomie. Staunend be-
trachteten sie zwei überlebensgroße Kopfe, die
derKünstler Romulus undV enusnannte,und die
an reiner Schönheit nach allgemeinem Urteil
hinter keinem der antiken Bildwerke zurück-
standen, fehlerloser noch als diese. (Vielleicht
ist Fehlerlosigkeit ihr Felder?)
Ignis aber behauptete, diese Köpfe weder nach
lebendem Modell, noch von einer „certa idea"
gelragen, wie Raffael die Inspiration nannte, ge-
schaffen, sondern einfach technisch errechnet
und nach dem aufgestellten Kanon menschlicher
Proportion geknetet zu haben. Die Messungen
waren mit Stecknadeln am Gips bezeichnet und
wurden von Nadel zu Nadel mechanisch aus-
geführt. Die Berechnung selbst hält er noch ge-
heim. Bereits knüpft sich manche Spekulation
daran. Schon ist die Musik gespenstisch in
Apparate gebannt durch allerlei Erfindungen
und mechanisiert in der Wiedergabe. Soll die
Skulptur, bis jetzt zu den freiesten Künsten
gehörig, Mechanisierung erfahren und schöne
Bildwerke ausgerechnet statt empfunden wer-
den? Soll jeder nach Rezept eine Venus von
Milo, einen Apollon herstellen können? Oder
besteht das Geheimnis des Ignis darin, daß
er ein bedeutender Bildhauer ist und daß ihn
die Zahlen nur angeregt haben, aber nicht be-
stimmt? Unter anderem verspricht sich unsere
auf Körperpflege eingestellte Zeit auch den
Erfolg, lebende Menschen nach dem Schön-
heits-Kanon zu entwickeln, durch Übungen
und Apparate. Aber noch hütet Ignis sein Ge-
heimnis. A. v. Gleichcn-Rußvuirm
120
MÄDCHENKOPF
nen, messen, technisch darstellen oder nur ge-
fühlsmäßig ertasten? Heute, da Technik alles
meistert, sollte sie nicht auch das Schöne mei-
stern? In diesen Gedanken vertiefte sich Ignis in
seiner faustähnlichen Werkstatt heimlich Jahr
für Jahr, bis er endlich, plötzlichsein,, Heureka"
ausrufen konnte. Triumphierend verkündete er
es und gewährte einer Reihe berühmter Sach-
verständiger Einlaß, das Ergebnis seiner Stu-
dien zu bestaunen, Museumsdirektoren, Künst-
lern, Professoren der Anatomie. Staunend be-
trachteten sie zwei überlebensgroße Kopfe, die
derKünstler Romulus undV enusnannte,und die
an reiner Schönheit nach allgemeinem Urteil
hinter keinem der antiken Bildwerke zurück-
standen, fehlerloser noch als diese. (Vielleicht
ist Fehlerlosigkeit ihr Felder?)
Ignis aber behauptete, diese Köpfe weder nach
lebendem Modell, noch von einer „certa idea"
gelragen, wie Raffael die Inspiration nannte, ge-
schaffen, sondern einfach technisch errechnet
und nach dem aufgestellten Kanon menschlicher
Proportion geknetet zu haben. Die Messungen
waren mit Stecknadeln am Gips bezeichnet und
wurden von Nadel zu Nadel mechanisch aus-
geführt. Die Berechnung selbst hält er noch ge-
heim. Bereits knüpft sich manche Spekulation
daran. Schon ist die Musik gespenstisch in
Apparate gebannt durch allerlei Erfindungen
und mechanisiert in der Wiedergabe. Soll die
Skulptur, bis jetzt zu den freiesten Künsten
gehörig, Mechanisierung erfahren und schöne
Bildwerke ausgerechnet statt empfunden wer-
den? Soll jeder nach Rezept eine Venus von
Milo, einen Apollon herstellen können? Oder
besteht das Geheimnis des Ignis darin, daß
er ein bedeutender Bildhauer ist und daß ihn
die Zahlen nur angeregt haben, aber nicht be-
stimmt? Unter anderem verspricht sich unsere
auf Körperpflege eingestellte Zeit auch den
Erfolg, lebende Menschen nach dem Schön-
heits-Kanon zu entwickeln, durch Übungen
und Apparate. Aber noch hütet Ignis sein Ge-
heimnis. A. v. Gleichcn-Rußvuirm
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