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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Buchty, Josef: Kreuz und quer durch Finnland und Lappland: am Saimasee in Ostfinnland; Reisebericht eines Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0176

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Mit Pferd und Schlitten, Remitier und Pulka
oder auf Schiern geht's durch unendliche Y\ äl-
der, über eisige, kahle Tundren, breite, zuge-
frorene Ströme und ausgedehnte Seen.
Allzuviel Menschen trifft man nicht. Hier und
da Lappen in ihren leuchtend farbigen Ko-
stümen, meistgrellroten und gelben Zacken-und
Streifenmustern auf dunkelblauem Grunde —
viereckigen Mutzen, Schuhen und Gamaschen
aus Renntierfeil undHundepelzhandschuhen.—
Vornehmster Lebenszweck des Lappen ist es,
möglichst wenig zu arbeiten — dafür wirkt er
aber auch sehr dekorativ. Gerne trinkt er Alko-
hol und Kaffee, letzteren in der reizvollen
Vermischung mit viel Salz, Zucker und Milch.
Sehr schön sind die Lappen im allgemeinen
nicht, statt dessen unterlebensgroß, krumm-
beinig und platt füßig.

Interessante Typen findet man unter den noma-
disierenden Waldarbeitern, den „Jälkä", Leuten
aus Nordskandinavien, Finnland und Rußland,
die aus irgendwelchen Gründen in die Wildnis
verschwanden und dort, wo man sie gerade
braucht, in den \\ äldern Bäume fallen und das
Holz im Sommer auf den Seen und Strömen
nach Finnland hinunterflößen. Bei dieser Ge-
legenheit vertrinken und verspielen sie ihren
Jahresverdienst in ein paar Tagen und dann
geht's wieder nach Norden bis zum nächsten
Sommer. Das sind verwegene und kräftige Ge-
sellen. Sie hausen in den VN äldern in großen
Erdhütten zu 20 bis 30 zusammen, haben ihre
eigenen ungeschriebenen Gesetze, siechen oder
schießen sich wohl schon untereinander ein
wenig, sind aber sonst Kavaliere — der Fremde
ist ganz sicher unter ihnen. Alte Leute findet

man unter den „Jälkäs" nicht, in bewohnte
Gegenden gehl keiner mehr zurück und auch
hört man nie, daß einer von ihnen stirbt. Es
ist ganz rätselhaft, wo diese Leute bleiben, wenn
sie alt werden — die Lappen behaupten, daß sie
sich dann in Renntiere verwandeln.

Der dunkle, farblose Nachthimmel glitzert voller
Sterne. Davor steht schwarz die Silhouette der
Tundra und des Waldes. Der Schnee schreit
unter den gleitenden Schiern. Manchmal knallt
es unter dem Einfluß der scharfen Kälte hier
und da aus dem W aide. Jetzt zucken im Nor-
den schwache Lichtstrahlen über das Firmament.
Das Nordlicht beginnt sich zu bilden. An ein-
zelnen Stellen werden die Strahlungen für
Augenblicke stärker. Allmählich hat sich über
dem Horizont ein langer, flacher Lichtbogen
entwickelt. Der Schein wird heller und heller.
Phantastische Figuren entwickeln sich auf der
Basis des Bogens; jetzt streng geschlungen und
gewunden, fast gotischen, riesigen Bändern
gleich, scharf umgeknickt, an der Unterkante
am hellsten leuchtend und nach oben hin lang-
sam sich auflösend: senkrecht in sich gezackt
und gerippt, wie Reihen gewaltiger Glasprismen
an einem Kronleuchter. Die Formen ändern
sich ständig, ohne daß man merkt wie. — der
leuchtendste Kern läuft auf der Bogenlinie hin
und her. wird bald ganz breit und niedrig, bald
wächst er riesenhoch ins Firmament.
Man hört das Nordlicht förmlich knistern und
steht da, berauscht und wie verzaubert — und
bocksteif gefroren. josef Buchty

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