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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Bredt, Ernst Wilhelm: Bresdin
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0316

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Steffano della Bellas Radierungen gesehen, und
ich zweifle nicht, daß er sich eine viel größere
künstlerische Umsicht auch in den Werken
früherer Jahrhunderle zu verschaffen gewußt
hat als heute noch erkannt ist. Er muß sich gei-
stig-künstlerisch sehr viel fest erworben haben,
trotz seiner „Boheme". Nur ist dies alles nicht
seinem W erk abzulesen, weil jede Persönlich-
keit von solcher Kraft nur das aufnimmt, was
ihr verwandt, was ihre Art zu stärken be-
rufen ist.

Sicherlich liegt nichts näher als zu glauben, ein
Künstler, der so fabelhaft minutiös schafft, der
solchen Bilderreichtum ins kleinste Blatt mehr
verwebt und vergräbt als darbietet, der müsse
außergewöhnlich viel freie AJuße gehabt haben,
müsse durch glückliche Umstände ledig gewesen
sein aller Sorgen, denn ohne zäheste dauernde
Hingabe entstehen solche Werke niemals.
So weit wir bis jetzt orientiert sind, hat Bresdin
ein Leben geführt, so abseilig, so ärmlich, so
entsagungsvoll und sicher so schmerzensreich
und sorgenvoll wie nur wenige andere Künstler.
Keineslalls aber standen ihm die technischen
Mittel zu Verfügung, die wir heute für unent-
behrlich zur Herstellung guter Graphik halten.
Die längste Zeit seines Daseins hat er sich von
\VurzelnundKommißbrotgenährt.SeineWoh-
nung, wo er sie aulschlagen mochte, bei Tou-
louse oder Bordeaux oder in Paris, war eine
elende Lehmhütte, wie man sie zum Aufbe-
wahren der J eldgerälc benutzt, oder es war ein
elender Speicher, ein Winkel darin, mit nicht
viel mehr als einer Kiste als Bett. Und seine
Gesellschaft waren am liebsten Tiere, ein Hase,
Vögel, Blumen und Kräuter, die er sich auf dem
Boden seiner 'Wohnungen zu ziehen pflegte, so
lange nicht der Hausherr dagegen einschritt.
Freilich wer kann glauben, es wäre ihm immer
schlecht gegangen? Hatte er doch so manchen
angesehenen Literaten zum Freunde: Banville,
Baudelaire, ßouvenne, Fouquier, Courbet u. a.
traten für ihn ein, haben frühzeitig über
ihn etwas mitgeteilt. Er kann nicht immer
mittellos gewesen sein. Der große Maler hat
sogar einen Ehrenabend für ihn 1870 veran-
staltet, als ihn dasLnglück wieder getroffen,
und Blindheit ihm jede Arbeit unmöglich
machte.

Champfleury hat ihn als Stoff seiner Novelle
Chiencaillou behandelt, hat ihn als Boheme un-
verbesserlicher Art geschildert, hat ihm für sein
Leben lang sozusagen ein Mal aufgedrückt, das

ihm sicherlich viel Leid, viel Schaden zugefügt
hat. Aber trotz allem; Bresdin kann nie müßig
gewesen sein nach Art leichtsinniger Boheme.
Er hat seine Künstlerehre nie preisgegeben, hat
ein W erk hinterlassen, das sich um so mehr
sehen lassen kann, je mehr wir erfahren, wie
viel er gelitten.

Er ist 1825 in einem kleinen Orte Westfrank-
reichs geboren, er war wie sein Vater Lohgerber
von Beruf. Mit zwanzig Jahren quartiert er sich in
einem Pariser Speicher ein und so bald ihn sein
Beruf frei läßt, macht er sich ans Zeichnen, Ra-
dieren, Lithographieren. In Bordeaux ist Redon
sein Schüler, dessen erste Arbeilen ganz denen
Bresdins gleichen, thematisch und zeichnerisch.
Auch das ein Hinweis, daß er nie so ganz allein,
nie ganz verkannt gewesen sein kann. Ein Jude
soll seine großen Gaben entdeckt haben; für fünf
Franken kauft er dem Darbenden Zeichnungen
ab, um sie fürs \ielfache loszuschlagen an
Kenner, die glauben Blätter irgendeines noch
unbekannten deutschen gotischen Meisters in
die Hand bekommen zu haben.
Durch den Verkauf bald dieses bald jenes
Blattes in Cafes hat er sich über Wasser ge-
halten, immer so viel nur erworben, um sein
Leben einige Wochen lang zu fristen. Er mag
oft Glück gehabt, noch öfter es verschmäht
haben, aus starkem künstlerischem Selbstbe-
wußtsein. So erzählt Montesqiou, wie ihm ein-
mal zwei Engländerinnen eine Zeichnung ab-
kaufen wollten für 4oo Franken, aber unter der
Bedingung, daß er das Schwein, das nach An-
sicht der Engländerinnen das Blatt schände,
entferne. Bresdin weigerte sich dies zu tun. Der
Kauf kommt also nicht zustande, zwei Tage
später muß er Iroh sein für dieselbe Zeichnung
150 Francs zu bekommen. — Eines Tages
(1853) bringt ihm ein Bote der Präfektur
4oo Franken, „au nom de la Cousine du Tyrann"
(der Prinzessin Mathilde) — er soll dafür ein
Blatt liefern. — Vier Jahre später erst ist die
große Radierung „Der barmherzige Samariter"
fertig. Er will sie selbst ins Palais bringen. Aber
er ist zu zerlumpt, er wird nicht vorgelassen,
ist ein verdächtiges Individuum.
Viel wäre von der ehrenhaften, barmherzigen
Haltung dieses Künstlers zu erzählen, liegen
doch auch Briefe von ihm vor. Endlich ver-
sucht er sein Glück, will es versuchen in Nord-
amerika. 1871 fährt er endlich nach Kanada.
1876 kommt er mit Frau und sechs Kindern
zurück. Arm wie zuvor. 1865 hatte er geheiratet.

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