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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Wolf, Georg Jacob: Münchner Kunstausstellung 1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0378

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und Gestaltung der Landschaft, Menschen und
Dinge, die von der Lehensheiterkeit und stillen
Größe der Antike umwittert war. Man hat an
Stucks Werken oft gemäkelt, und ich gebe zu,
daß es nicht zu Unrecht geschah, wenn man
das Einzelbild vor sich hatte. Jetzt, da man das
Gesamtwerk vor sich ausgebreitet findet und
aus ihm die ganze Persönlichkeit, der Künstler-
Mensch beredt spricht, soll und muß man vor-
behaltlos zugestehen, daß die Secession nicht
nur ihre repräsentativste Persönlichkeit, sondern
auch eine der stärksten künstlerischen Kräfte,
die sie je besessen, verloren hat. Auch Hugo
von Habermann, dem 1930 dieEhrenausstellung
gerüstet werden soll, ist dahin — es wird einsam
um den Häuptern, und die große Tradition
klingt ab. Freilich steht Heinrich Zügel trotz
der Fülle der Jahre immer noch in alter Frische
an der Staffelei, und dem prachtvollen Ludwig
von Herterich, dem jugendlichen Feuerkopf
unter ergrauten Haaren, gelingt ein Bild wie die
Ecclesia militans et meditans, ein Meisterwerk,
das hinter seinem Hutten unter dem Kruzifix
nicht zurücksteht, es vielleicht sogar in Hin-
blick auf Abgeklärlheit übertrifft. Aber das
sind eben doch Einzelleistungen. Die Führung
der Secession liegt heute in guten Händen:
sowohl Angelo Jank als Julius Diez sind vor-
zügliche Künstler, Maler von Phantasie und
großem Können, und es stehen um sie als Zeit-
genossen Naager, Exter, Hahn, Samberger,
Nißl, Seyler — Männer von Geltung und Ge-
schmack: trotzdem vermag keiner ein Zeitalter
zu tragen, keiner kann einem Entwicklungsab-
schnitt der Münchner Kunst den Namen geben
wie es Stuck und Habermann, Uhde und Keller
vermochten. So muß die Secession, wenn sie
nicht stagnieren will, wenn nicht nach dem
Absterben der großen Generation, von der
schon so viele heimgingen, die Verbindung zur
Gegenwart, zum Schaffen der Stunde, das aber
einmal das Schaffen für die Ewigkeit sein soll
und wird, besonders pflegen. Sie muß den
Jüngeren unter ihren führenden Männern,
Schwalbach, Bock, Hüther, Bechstein, Heubner,
Hommel, Wackerle, um nur einige zu nennen,
breiten Spielraum geben und an sie die Reihe
frischer Jugend anschließen, an der es nicht
fehlt und die auch hier mit teilweise noch
unausgegorenen, aber nichtsdestoweniger be-
merkenswerten Leistungen zur Stelle ist.
Drüben, in der Glaspalasl-Linken, fehlt es auch
nicht an frischem und verheißungsvollem Nach-

wuchs. Begreiflicherweise hält man hier mehr
auf Anschluß an die Tradition, auf V erankerung
im Münchnertum, und es ist gut so, wenn es
nicht in Reaktion ausartet. Zu befürchten ist
dies nicht, solange man dort, um einige Bei-
spiele zu geben, Wilm seine aus lebendigstem
Zeitgefühl geschöpften Stilleben, Pippel seine
den Impressionismus übersteigenden Freilicht-
bilder, Miller-Diflo seine hellen, optimistischen
Landschaften und Best seine mural gedachten
und groß empfundenen Monumentalbilder der
Passion zeigen läßt. Vor allem, solange der
schöne Brauch des Freskenmalens, der diesmal
auf die kirchlichen Räume beschränkt blieb,
im Schwünge ist. Da tauchen immer wieder
neue Namen und Persönlichkeiten ins Licht.
Diesmal fällt besonders Oskar Martin-Amor-
bach auf: seine „Kreuzigung" ist wahrhaft
monumental, ein Fresko von bester Haltung
und Art. Es scheint, daß in der kirchlichen
Monumentalmalerei, in der Kunst, die archi-
tektonisch und kunstgewerblich gebunden ist,
überhaupt eine Hauptstärke der heutigen
Münchner Malerei liegt; wahrscheinlich wirkt
sich darin Schule und Vorbild des verstorbenen
Becker-Gundahl aus.

Zweier Kollektionen ist noch zu gedenken:
Y\ alter Firle, in diesem Jahr ein Siebziger, zeigt
das Beste in seinen Frühwerken, also in seinem
Schaffen aus jener Zeit, als er sich mit seinen
vortrefflich gemalten realistischen Bildern aus
der W7elt der armen Leute in der Sphäre Ulides
bewegte; Anton Müller-Wischin, ein Sechzig-
jähriger, dessen entscheidende Entwicklungs-
stationen erst in den letzten Jahren liegen, fesselt
vor allem durch sehr persönlich gesehene Land-
schaften, die von sattem, tiefem Kolorit sind.
Anregung und Material gibt auch der Glaspalast
1929 in reicher Fülle, denn es ist ja nur ein
bescheidenes Segment, das diese Zeilen heraus-
nehmen aus dem Ganzen und von vielem, das
einer ausführlichen Erwähnung würdig wäre,
z. B. jene delikate, auf des Pinsels Spitze schwe-
bende poetische Münchner Feinmalerei, für die
Namen wie Steppes, Baierl, Stahl kennzeichnend
sind, konnte nicht einmal Notiz genommen
werden. Manches geht natürlich auch in der
Uberfülle, die wiederum Folge der ungünstigen
Raumverhältnisse ist, unter. Man muß deshalb
zum Schluß dieser L berschau wie an ihrem
Beginn fordern, was heute das A und das O der
Geltung Münchens als Kunststadt ist: Das neue

Kunstausstellungsgebäude. Georg Jacob Wolf

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