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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Tietze, Hans: William Blake
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0395

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WILLIAM BLAKE

Am 12. August 1927 jährte sich zum hundertsten
Male der Tag, an dem William Blake in seinem
ärmlichen Heim in London entschlafen ist. Zu
seinen Lebzeiten hatte er den meisten als ein
Narr gegolten, aber Männer wie Flaxman und
Füßli haben ihn für den größten Mann ihres
Landes gehalten; in den intellektuellen Kreisen
Englands und Amerikas, wo sein Werk in öffent-
lichen und Privatsammlungen eifersüchtig ge-
hütet wird, ist dieser Jahrestag in feierlicher
Weise begangen worden, während der Künstler
auf dem Kontinent nach wie vor nahezu unbe-
kannt ist und von denen, die ihn erwähnen, zu-
meist für einen Sonderling oder phantastischen
Dilettanten erklärt wird. Daß auch Deutsch-
land an dieser Verkennung Blakes teilhat, könnte
wundernehmen; denn tatsächlich steht seine
ganze Erscheinung der Ideenwelt der deutschen
Romantik überaus nahe, berührt sich künst-
lerisch mit Persönlichkeiten wie Runge oder
Carstens und ist auch von jenem Geschlecht,
das an der geistigen Wiederaufrichtung des von
Napoleon niedergetretenen Deutschlandarbeitete,
als verwandter Geist gefühlt worden; in dem
„Vaterländischen Museum", durch das Friedrich
Perthes das Nationalbewußtsein zu stärken unter-
nahm, erschien 1811 die erste literarische Cha-
rakteristik des Künstlers. Die materialistische Ent-
wicklung der deutschen Geistigkeit hat ihn nach-
mals zum bloßen Kuriosum herabgedrückt.
Freilich darf man nicht übersehen, daß Rlake —
trotz solcher Verbindung mit dem europäischen
Geistesleben — doch in hohem Grade eine eng-
lische Erscheinung war. Nur hier, wo die letzten
Jahrhunderte keine nennenswerte selbständige
Kunst hervorgebracht hatten und wo im j 6. Jahr-
hundert die Ableger Holbeins, im 17. die Van
Dycks, im 18. die Anregungen der französischen
Kunst einen ausreichenden Ersatz geboten
hatten, war es für einen Maler möglich, der
Tradition der Vergangenheit derart unbe-
fangen gegenüber zu stehen; auch andere her-
vorragende englische Künstler gewannen ihre
Eigenart aus der unbelasteten Frische, mit der
sie an die Probleme herantraten. Constable,
Ronnington, z. T. sogar Turner besaßen die rück-
sichtslose Vorurteilsfreiheit künstlerischer Self-
made-men. Zum andern aber hat sich die Kunst
in England weniger als anderwärts in Europa
von der Ganzheit des geistigen und des sozialen
Lebens gelöst; sie ist hier nicht — oder weniger
als anderswo — Selbstzweck geworden, lediglich
bestimmt, rein künstlerische Aufgaben zu mög-
lichster Vollkommenheit zu führen, sie hat viel-

mehr immer allgemeinen Ideen zu dienen ge-
habt. Die präraffaelitische Schule, die große
kunstgewerbliche Bewegung des neunzehnten
Jahrhunderts, die charakteristische englische
Porträt- und Illustrationskunst, sie alle sind sozial
und literarisch gebunden; auch heute wird ein
Kunstwerk in England noch weniger als ander-
wärts danach beurteilt, was es an absoluter Quali-
tät erreicht, sondern nach dem gedanklichen In-
halt, den es vermittelt und nach der sozialen
Nutzwahrheit, die ihm innewohnt.
Blakes Kunst stand in vollstem Widerspruch zur
Auffassung des achtzehnten Jahrhunderts, wie sie
in seinem Vaterlande der Malerfürst Sir Joshua
Reynolds in seinen berühmten Reden und in
seinen kostbaren Bildern am charakteristischsten
darstellte. Blake verleugnete nicht nur die ganze
glorreiche Tradition der Malerei, aus der jener
eklektisch seine Rezepte zusammengebraut hatte,
er verleugnete auch die ganze Gesinnung, die
auf Geschicklichkeit, Geschmack und Natur-
nachahmung aufgebaut war. Eine Malerei, die
sich nach seinem Ausdruck darin erschöpfte,
Nachbilder von meist sterblichen und vergäng-
lichen Substanzen zu liefern, dünkte Blake eine
schmutzige Handlangerei; als Kunst schien sie
ihm ebenso wie Poesie und Musik nur durch
unsterbliche Gedanken zu leben und zu trium-
phieren. Die ganze künstlerische Verfeinerung
des Rokoko tat Rlake als einen eitlen Tand, ja
als einen höllischen Trug von sich; statt sich den
naturalistischen Restrebungen hinzugeben, die
von Rembrandt bis Reynolds zu einerAuflösung
aller Kunst geführt hatten, schloß er sich den
primitiven deutschen und italienischen Malern
und Stechern an, die ihres Herzens Einfalt und
Frömmigkeit in Gebilde von rührender Un-
gefügigkeit ausgegossen hatten. Aber dieser
Anschluß an Frühstufen der Kunst, der Blake
zum Ahnherrn derPräraffaeliten macht, istnicht
das Wesentliche; er greift nach ihnen nicht als
formalen Mustern, sondern weil sie ihm helfen
auszudrücken, was er zu sagen hat, aber er ver-
wendet neben ihnen unbefangen michelangeleske
Formen oder Anregungen, die er seinen Freunden
Füßli oder Flaxman verdankt oder endlich
Formen seiner eigenen Erfindung. In jeder Form
ist die möglichste Klarheit und Reinheit des
Umrisses und die größte Eindringlichkeit des
geistigen Ausdrucks angestrebt; aber diese pla-
stische Restimmtheit der Form beruht nicht wie
bei manchen seiner Zeitgenossen auf genauem
Naturstudium, sondern auf der einprägsamen
Kraft seiner inneren Visionen. Was in den

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